Südstaatenabenteuer, kindgerecht

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Die Südstaaten waren immer schon für eine literarische Reise gut! Ich denke dabei ebenso an „Vom Winde verweht“ von Margaret Mitchell wie auch an „Huckleberry Finn und Tom Sawyer“ von Mark Twain, denn bei beiden hat Lansdale Anleihen gemacht und sich bei deren Gedankengut, Charakteren und Stil grosszügig bedient!

Irgendwie zeigen sich die amerikanischen Autoren dem Südstaaten-Charme halt mehr verfallen als dass der Abscheu über das immer noch dem Rassismus zugeneigte Land, dabei insbesondere Texas, überwöge. Eingestreute Erzählsentenzen über die Ungerechtigkeit der Apartheid als niedliche Kritik, dienen als Rechtfertigung für die Beschreibung eines Lebensstils, den wenigstens in den 1950ern niemand ernsthaft in Frage stellte und dem heute viele nachtrauern.

Mit sympathischen, kindgerechten Protagonisten hat Joe R. Lansdale ein nicht ebenbürtiges, aber doch nettes, humorvolles Pendant zu Mark Twains Huckleyberry Finn und Tom Sawyer geschaffen. Auch sein Stil ist von frappanter Ähnlichkeit.

Held ist Stanley, der erzählende 13jährige bisher sexuell ahnungslose naive Lausbub. Er und seine cute 16jährige Schwester Callie bedienen in Doppelstellung Tom Sawyer. Es gibt einen „Schwarzen Mann“, dem die Weissen grosszügig eine Anstellung geben namens Buster, der Stanleys Freund und Helfer wird bei den Nachforschungen in einem alten Kriminalfall. Auch Tom Sawyer hat alle möglichen Freundschaften quer durch die Gesellschaft geschlossen und gezeigt, dass die Weissen doch gar nicht alle „so“ sind.

Ins gleiche Boot gehört die Schwarze Rosy Mae, eine rechtschaffene, treue, loyale und dankbare Seele, sich unterordnend wie es sich gehört, aber lebensklug. Sie erinnert mich an Mammy, Scarlett O’Haras alte Kinderfrau, die kraft ihrer Eigenheiten, ihrem Gottvertrauen und ihrer Klugheit familiären Einfluss gewinnt, aber Gott sei Dank nie den ihr gebührenden Platz verlässt. Bösewicht ist Bubba Joe, der Stanley ordentlich Angst einjagt: Huhu!

Der Sommer ist heiss, schwül, schwer und lang - die Atmospähre des texanischen Landlebens wird authentisch rüber gebracht. Zeit der Adoleszenz. Man wächst heran, frei und wild, soweit man weiss ist und nicht Richard heisst, der die tumbe Rolle Huckleberrys auf den Leib geschrieben bekommen hat. Abgetrennte Köpfe, geheimnisvolle Briefe, seltsame Beziehungen, abenteuerliche nächtliche Streifzüge und ein Spuk, dem man allmählich auf die Spur kommt, runden das Ganze ab.

Ist dieser Lansdale also eine Imitation, eine abgeschwächte Form Mark Twains? Ja, aber gut gemacht, was das Unterhaltsame angeht, die Handlung vom 19. ins 20. Jahrhundert transportiert.

Wie steht es mit Gesellschaftskritik? Bei Twain: eindeutig ja, bei Lansdale ebenso eindeutig: nein. Man kann nicht hundert Jahre später auf dem selben Schaufelraddampfer den Mississippi entlang schippern. Im 21. Jahrhundert stehen einem Schriftsteller, um Rassismus an den Pranger zu stellen, wo er hingehört, ganz andere, drastischere und deutlichere Stilmittel zur Verfügung als Twain sie hatte. Um gesellschaftskritisch zu sein, ist Lansdale zu leise und zu nett.

Fazit: Das Buch „Ein feiner dunkler Riss“, dessen Titel auf den Riß zwischen Leben und Tod anspielt, ist, wenn man die aus den Romanen der Kindertage alte Südstaatenromantik und Mentalität noch einmal aufleben lassen möchte, ein Lesevernügen, doch Lansdale ist nicht wirklich kritisch und absolut nicht neu.