Der stille Beobachter

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miss marple 64 Avatar

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Nachdem er durch das Volkskommissariat zu Hausarrest verurteilt wurde, bezieht Graf Rostov ein kleines Zimmer im Dachgeschoss seines geliebten Domizils - Hotel Metropol, in dem er seit seiner Rückkehr in seine Heimat aus dem französischen Exil 1918 eine geräumige Suite bewohnte und muss sich nun aus Platzgründen von manch liebgewonnen Gegenstand verabschieden. Ihm bleibt nur der Blick aus dem Fenster über die Dächer Moskaus, der schon freundschaftlich zu nennende Umgang mit einigen Hotelangestellten und seine bemerkenswerte Beobachtungsgabe, die den Leser dreißig Jahre russische Zeitgeschichte erleben lässt. Gemeinsam ziehen wir mit Rostov Anfang der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts unter das Dach des Hotels, richten uns auf beengtem Raum ein, gehen mit ihm in die Hotellobby und beobachten dort neu ankommende Gäste. Detailliert und brillant beschrieben, erfahren wir viel über seiner Familiengeschichte, die uns zurück ins zaristische Russland auf sein Gut führt. Immer wieder wird er durch alltägliche Beobachtungen oder Begegnungen, zum Beispiel mit seinem alten Studienfreund Michael Fjodorowitsch, dazu angeregt, in Rückblicken sich an Vergangenes zu erinnern. Die Veränderungen in der neu gegründeten Sowjetunion machen auch nicht am Hoteleingang halt und so führt uns Rostov in galanter Weise immer verbunden mit seinem täglichen Leben durch wichtige geschichtliche Ereignisse, in die er mehr oder weniger hineingezogen wird und mutige Entscheidungen treffen muss.
Keine Frage, dass der Autor selbst über eine unbeschreibliche Beobachtungsgabe verfügt und diese in eine kunstfertige Sprache umzuformen versteht. Der Roman lebt von einer solch großen Detailfülle, dass der Leser am Schluss erst einmal innehalten muss, um das Gelesene einzuordnen. „Ein Gentleman in Moskau“ ist kein schnelles Buch, es fordert sich die Zeit des Lesers ein, der immer wieder angeregt wird, auch das kleinste Detail, sei es sprachlich oder auch inhaltlich, zu erfassen.
Nicht zuletzt verdanken wir einer brillanten Übersetzung durch Susanne Höbel ein bleibendes Leseerlebnis, das noch lange nachwirkt.