Ein feinsinniger Roman über einen liebenswerten Gentleman

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evelynm Avatar

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Das Cover des Romans „Ein Gentleman in Moskau“ sticht mit seiner Schwarz-Weiß-Fotografie und den leuchtend neon-farbenen und erhabenen Buchstaben sofort ins Auge. Die Fotografie zeigt einen eleganten Herrn dar, der sich über die Brüstung eines offenen Fensters nach draußen beugt und nach unten sieht. Außerdem fühlt sich der Schutzumschlag wie von einer gummierten Schicht umgeben an. Edel sind der graue Buchrücken und das gleichfarbige Leseband samt Bindung.
Moskau 1922:
Es ist die Zeit nach der Entmachtung des Zaren und die Zeit der Bolschewiken in Russlang. Durch ein Urteil wird der charmante Graf Alexander Iljitsch Rostov – er hat das Pech, dem Adel anzugehören - von seiner Suite im Nobelhotel Metropol in Moskau in eine Abstell-kammer des Hotels verbannt und steht fortan unter lebenslänglichem Hausarrest. Sollte er einen Fuß vor das Hotel setzen, würde er erschossen. Graf Rostov muss sich von einigen Besitztümern trennen und richtet sich in dem winzigen Raum so gut es geht ein. Dabei verliert er weder seine Würde, seinen Optimismus noch seine Contenance. Er weiß sich durchaus mit Hilfe von edler Bettwäsche und der Lieferung eines Mille Fleurs in seiner kleinen Kammer einzurichten und pflegt einen geregelten Tagesablauf, um nicht dem Wahnsinn anheim zu fallen. Zudem lässt er seinen Geist durch Moskaus Straßen treiben – im Bewusstsein, dass er sie nicht betreten kann. Etwas eigenwillig gibt er den Restaurants im Hotel Metropol ganz eigene Namen und behandelt die Angestellten mit ausgesuchter Höflichkeit.
Eines Tages trifft er auf die neunjährige Nina Kulikowa, die ein ähnliches Schicksal teilt. Sie ist seit 10 Monaten im Hotel Metropol in der Obhut einer Gouvernante und darf nicht nach draußen. So kundschaftet sie das Hotel von oben bis unten aus. Immer öfter nimmt sie den Grafen mit auf ihre Expeditionen und er erzieht sie auf ihren Wunsch hin nach dem Vorbild einer Prinzessin. Als Nina eingeschult wird, hinterlässt sie dem Grafen ihren Generalschlüssel für das Metropol – so kann er seine Exkursionen fortsetzen und hinter die Kulissen des Hotelbetriebes blicken.
Unter den Bediensteten des Hotels findet er viele Freunde und so entsteht für den Grafen eine Art Familie. Vor allem als der die Verantwortung für die 5jährige Sofia, Tochter von Nina, unerwartet und auf unabsehbare Zeit auferlegt bekommt. Auch diese Situation meistert er auf seine ruhige und besonnene Art und Weise. Russland befindet sich im Wandel, was sowohl Gutes als auch Schlechtes mit sich bringt.
Mein Lieblingszitat – von Mischka, dem Freund des Grafen: „Wer hätte damals geglaubt, als du zu Hausarrest im Metropol verurteilt wurdest, dass du eines Tages der glücklichste Mensch Russlands sein würdest.“
„Towles ist ein Meistererzähler“ steht als Zitat aus der New York Times Book Review. Mit seinem feinsinnigen und philosophischen Schreibstil ist Towles mit „Ein Gentleman in Moskau“ ein Porträt längst vergangener Zeiten heraufzubeschwören. Obwohl die Geschichte rund um den Grafen Rostov sich „nur“ im Hotel Metropol mitten in Moskau abspielt, vermittelt der Autor dem Leser sehr gelungen die politischen, gesellschaftlichen und geschichtlichen Änderungen in der Zeit nach dem Tod der Zarenfamilie, der Entmündigung des Adels und der Machtübernahme durch die Bolschwiken. Die Zeit des Umbruchs, der Veränderungen und des „Neuanfangs“ im Russland Anfang der 2012 Jahre fängt er genauso bildhaft ein wie die gesellschaftlichen und charakterlichen Unterschiede der Angestellten, der Bewohner und der Gäste im Nobelhotel ein. Neben wunderschönen Formulierungen, die den Charakter des Grafen gut zur Geltung bringen, finden sich im Roman auch kleine Anekdoten, die so manches Schmunzeln ins Gesicht des Lesers zaubern. Amor Towles ist wahrlich ein Meister der stilvollen, bildhaften und philosophischen Betrachtungen über das Leben und die Menschen. Er besitzt ein Gespür für Menschen und lässt den Spannungsbogen nie abbrechen. Kein Wunder also, dass ich oft das Gefühl hatte, dem Grafen und seinen Gefährten durch das Hotel zu folgen. Die unterschiedlichen Charaktere hat er sehr detailliert ausgearbeitet und deren Emotionen sind durchweg glaubhaft.
Mich hat der Roman von der ersten bis zur letzten Zeile begeistert!