Ein ganz toller Roman, ein wahres highlight in diesem Herbst.

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wedma Avatar

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Klappentext beschreibt den Inhalt ganz gut, wobei ich sagen muss, dass es nicht so einfach ist, bei diesem Roman in aller Kürze zu sagen, worum es hier eigentlich geht. Der im KT gesetzter Rahmen stimmt: Rostov, ein Gentleman durch und durch, wird in seinem geliebten Hotel Metropol von der neuen Macht im Jahr 1922 eingesperrt. Sein zarenregimekritisches Gedicht, das er vor paar Jahren veröffentlichte, soll ihn von der Erschießung gerettet haben. Nun macht Rostov das Beste aus seiner Lage und führt auch weiterhin ein gutes, lebenswertes Leben: Er speist fein in den Restaurants des Hotels, liest in den Klassikerwerken, die er aus seinem Anwesen mitgebracht hatte, und schaut, was er auch sonst tun kann, um der langen Weile zu entkommen und den Mitmenschen behilflich zu sein. An Geld mangelt es ihm nicht. Er kann immer etwas aus seiner Goldmünzensammlung veräußern.

Graf Rostov ist für mich zu einer Figur geworden, die ich nicht missen möchte. Seine feine Art, sein Geschick, mit Problemen größerer und kleinerer Größenordnung fertigzuwerden, ist die Verkörperung der Lebensweisheit, die man unbedingt kennenlernen sollte. Seine Freunde, die Menschen, die im Hotel arbeiten, z.B. der Chefkoch, der Maître d’hôtel oder auch die Näherin sind auch spannende Persönlichkeiten, mit ihren eigenen Lebensgeschichten ausgestattet, Meister ihres Fachs, die Graf Rostov nicht nur als Profis begleiten, sie sind auch für diese Zeit seine Familie. Ihr Miteinander ist von genseitigem Respekt und Wertschätzung geprägt.

Diese Fähigkeit, trotz allem, was draußen in schwierigen Zeiten passiert, sich davon nicht in die Irre leiten zu lassen, sondern ein Mensch zu bleiben, der so lebt, wie es ihm richtig erscheint und schaut, wie er sich sinnvoll in das Leben der Gemeinschaft einbringen kann, das und noch vieles mehr führt Graf Rostov und seine Freunde einem bildhaft vor Augen.

Natürlich wird auch ein Stück der russischen Geschichte in diesem Roman erzählt, sehr charmant, mit viel Kenntnis und Respekt. Keine Effekthascherei, erhobenen Fingerzeig oder ähnliches. Das hat Graf Rostov nicht nötig. Sehr gut gewählt, griffig und gentlemanlike sind die Kernmomente der Jahre von 1922 bis 1954 beleuchtet worden. Der 2.te Weltkrieg ist dabei komplett ausgeblendet worden, was ich auch gut fand. Dafür aber gibt es interessante Ausführungen über Stalin, Malenkow, Chruschow uvm, ihren Kampf um die Führungspositionen an der Parteispitze. Hinzu kommen Lebensgeschichten anderer Figuren, die entweder Opfer dieser stürmischen Zeiten geworden sind, wie z.B. die Mutter und Vater des Mädchens, das Graf Rostov bei sich aufnehmen musste und großgezogen hat, oder der Parteifunktionäre, die das Sagen hatten.

Die Überraschung, oder gar mehrere, zum Schluss fehlt keineswegs. Die Auflösung ist stimmig und passt zum Grafen wunderbar. Sehr, sehr gut erzählt.

Die Geschichte ist insg. meisterhaft dargeboten worden. Sehr charmant und angenehm. In weiten Strecken ist es ein Wohlfühlbuch für mich gewesen, das ich nur Häppchenweise gehört habe, damit diese Köstlichkeit nicht so schnell zu Ende geht.
Die u. g. Pressestimmen kann ich nur bestätigen:

"Towles ist ein Meistererzähler" New York Times Book Review.

"Eine charmante Erinnerung an die Bedeutung von gutem Stil" Washington Post.

Der Erzähler Hans Jürgen Stockerl hat sehr gut gelesen, seine Art, die Geschichte vorzutragen, hat das Wesen des Grafen und anderen Figuren noch in seiner Wirkung verstärkt und sie lebendiger erscheinen lassen. Schade fand ich, dass die rus. Realien und Namen falsch, mit grundsätzlich verkehrten Betonung gesprochen wurden, was manchmal zu unwillkürlich lustigen Fehlinterpretationen führte. Es gibt z.B. eine Figur, ein hoher Parteifunktionär namens Ossip. Ein alter Männername. Normalerweise fällt die Betonung auf O. Gesprochen wurde aber mit der Betonung auf i, was, so gesagt, so viel bedeutet wie heiser geworden, aufgrund von Erkältung oder langem lauten Sprechen. Im Kontext hörte es sich schon manchmal irreführend an: Statt Ossip als Männername: heiser geworden. Aber gut, das habe ich schon bei anderen Sprechern erlebt. Scheint insg. eine Unsitte branchenweit zu sein, rus. Worte, Namen, etc. grundsätzlich falsch zu betonen, ohne sich vorher schlau gemacht zu haben. Hier also nur vier Sterne.

Fazit: Es ist ein ganz toller Roman, ein wahrer highlight in diesem Herbst, ein must read/ must hear. Nach einer Pause höre ich den mir nochmals an. Er ist einfach zu schön.

Hörbuch. Spieldauer: 18 Stunden und 14 Minuten. Gelesen von Hans Jürgen Stockerl.