Erlebte russische Geschichte im Hotelkosmos!

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
rauschleserin54 Avatar

Von

„Und deshalb steckte der Graf die Schere seiner Schwester in die Tasche, betrachtete ein letztes Mal das, was von seinem Erbe geblieben war, und löschte es endgültig aus seinem sehnsuchtsvollen Herzen.“

Das sagt viel über Graf Rostov aus, einem jungen russischen Adeligen, dem allein seine privilegierte Geburt zum Verhängnis wird. Das wollen die Bolschewiken in den frühen 20igern in Moskau nicht mehr, sie wollen Allgemeingut für das russische Volk und ein „Weltenbürger“ wie Graf Rostov, der seit 4 Jahren im Hotel Metropol in einer großzügigen Suite lebt, ist ihnen ein Dorn im Auge. Er wird unter Hausarrest gestellt in einer Dachkammer des altehrwürdigen Hotels Metropol, dem ersten Haus in Moskau und es ist ihm nicht mehr gestattet, jemals wieder die berühmte Drehtür des Hauses nach draußen in die Freiheit zu öffnen.

Mit Bravour, einer Noblesse, die ihm von der Großmutter vererbt wurde, einem großen Herzen, geistreicher Intelligenz und großer Phantasie wird für ihn das Hotel von nun an sein Universum, die Welt, die in ihm ist und die Welt, die durch die vielen Besucher aus allen Nationen, repräsentiert wird.
Es ist wie ein buntes Kaleidoskop, jeden Tag hat es ein anderes Gesicht.
Durch seinen liebenswerten Charme und seine gute Erziehung und Kenntnis der kulinarischen Genussvielfalten, wird es ihm möglich als Kellner zu arbeiten im besten Restaurant des Hauses und dort bekommt er Einblick in gesellschaftliche und politische Umwälzungen und Neuerungen.A
Er findet wunderbare Freunde durch seine Menschenfreundlichkeit und genau da werden Kontraste sichtbar zu den eigentlichen Ideen, derer, die gar nicht mehr den eigenen Idealen treu sind. Als dem Grafen dann das Kind einer Freundin anvertraut wird, zeigt er nur mehr, was alles in ihm steckt....

Der Autor ist ein Erzähler, wie man ihn nur ganz selten findet. Ich bin begeistert, berührt, ich genieße jede Seite, ein wunderbares Buch.

„Um zehn Uhr begleitete der Graf seine Gäste zum Glockenturm, und mit demselben Zeremoniell wie an der Tür seines Familiensitzes in St. Petersburg wünschte er ihnen eine gute Nacht. Als er wieder in seine Kammer kam, öffnete er das Fenster (das nicht größer als eine Briefmarke war) goss sich den Rest Kognak ein und setzte sich an seinen Schreibtisch“.

Eine Geschichte über einen vollendeten Gentleman äußerlich und im Herzen, gentlemanlike geschrieben, wie ich es noch nie lesen durfte. Fast behutsam führt uns Towles durch die Jahre nach in Russland nach der großen Revolution und der Abschaffung und Ausrottung des Adelstandes, der Übernahme durch die Bolschewiken und weitere große Umwälzungen. Sehr kenntnisreich wird der Leser in kleinen Dosen, aber immer auch schicksal lenkend für den Protagonisten über gesellschaftliche und politische Konventionen informiert und auch im Hotel machen Korruption und Spionage nicht halt. Der Autor benennt klug, wie auch die kleinen Rädchen der Menschlichkeit ineinandergreifen und trotz großer Ängste, die Hoffnung nicht verlieren lassen.

Für mich ist diese Sicht der Dinge und die Darstellung im Mikrokosmos eines einzigen großen Hotels fast wie auf einer Theaterbühne repräsentiert. Dadurch wird vieles um so klarer und auf den Punkt gebracht.

Amor Towles hat mich überzeugt. Ich werde noch mehr von ihm lesen und für dieses wunderbare Buch, eines der besten in 2017 für mich und allgemeingültig in seinen Aussagen, gibt es 5 Lesesterne!!! Danke, Amor Towles!