Ein Sprung ins kalte Wasser

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buecherfan.wit Avatar

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In Sara J. Henrys Debütroman “Ein Herzschlag bis zum Tod” ist die Journalistin Troy Chance auf einer Fähre auf dem Lake Champlain im Norden der USA unterwegs, als sie zu sehen glaubt, dass ein kleines Kind von der entgegenkommenden Fähre ins Wasser fällt. Ohne zu zögern springt sie von der Reling ins kalte Wasser, obwohl sie eine ziemlich schlechte Schwimmerin ist. Es gelingt ihr tatsächlich, das Kind zu finden und an Land zu bringen. Mit Entsetzen stellt sie anhand der um den Jungen geknoteten Ärmel eines zu großen Sweatshirts fest, dass jemand das Kind absichtlich ertränken wollte. Sie fasst augenblicklich eine große Zuneigung zu dem etwa 6jährigen Paul, der nur französisch spricht und nimmt ihn mit nach Hause. Anonym informiert sie die örtliche Polizei und eine Lokalzeitung.

Dies ist für die Protagonistin das Ende ihres bisherigen und der Beginn eines völlig anderen neuen Lebens. Troy, eine unabhängige, selbstbewusste Frau, die ihre Mitmenschen auf Distanz hält und statt einer festen Beziehung eine lockere, eher freundschaftliche Partnerschaft mit einem Professor pflegt, wird immer tiefer in eine undurchschaubare Entführungsgeschichte hineingezogen und stellt alles in Frage, was bisher ihr Leben ausgemacht hat. Sie ermittelt im Alleingang den Vater des Jungen und sucht ihn in Ottawa auf, um zu prüfen, ob sie ihm vertrauen, vor allem, ob sie ihm das Kind anvertrauen kann. Sie fühlt sich zu Pauls Vater Philippe Dumond hingezogen, und er mag sie auch. Nur die Polizei ist lange Zeit nicht Troys Freund. Detective Jameson von der Polizei in Ottawa hält sie für verdächtig genauso wie den Vater des Jungen. Troy wird Paul zuliebe zeitweise Teil einer fremden Familie, zu der sie nicht wirklich gehört, was ihr die meiste Zeit auch schmerzlich bewusst ist. Als die Polizei bei den Ermittlungen nicht weiterkommt, greift Troy zu immer gefährlicheren Mitteln, um die Entführer zu finden und den Fall aufzuklären.

Sara J. Henry ist ein beeindruckender Erstlingsroman gelungen, an dem sie nach eigener Aussage über zehn Jahre gearbeitet hat. Der Roman ist spannend und liest sich sehr gut, auch wenn einige Begebenheiten und Umstände dem Leser sehr unwahrscheinlich und unglaubwürdig vorkommen und die Autorin in unnötiger Detailfreude Troys Wissen über Computer und Fahrräder ausbreitet - hier fließen offensichtlich ihre eigenen Erfahrungen mit ein. Der Showdown am Ende bringt eine nicht vorhersehbare Auflösung. Mit Troy Chance hat Henry eine ungewöhnliche, sehr sympathische Protagonistin geschaffen, die mehrfach im wörtlichen und metaphorischen Sinn den Sprung in kalte Wasser wagt und dabei enorme Risiken eingeht. Der Originaltitel “Learning to Swim” passt auf jeden Fall besser zu der Geschichte als der gewollt reißerische Titel “Ein Herzschlag bis zum Tod”, der - genauso wie der Aufdruck “Thriller” auf dem Cover - beim deutschen Leser falsche Erwartungen weckt.

Mir hat Sara J. Henrys Roman gut gefallen, und ich bin sehr gespannt auf die geplante Fortsetzung mit der liebenswerten, mutigen Troy Chance.