Ein Jahr voller Wunder - Wenn die Welt sich langsamer dreht

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Julia erzählt, wie es war, als sie bald 12 wurde und mit all dem kämpfen musste, was einem in diesem Alter belastet: Schule, Freundschaften, Interesse am anderen Geschlecht usw. Doch bei Julia ist etwas Entscheidendes anders: in diesem Jahr fängt die Erde an, langsamer ihre Runden zu drehen. Zunächst scheint das kein so großes Problem zu sein, doch dann machen sich die ersten Auswirkungen bemerkbar. Vögel fallen vom Himmel, Unfälle sind schlimmer - die Erdanziehungskraft ist größer. Niemand kennt den Grund für die Verlangsamung, aber sie schreitet immer schneller fort. Die Tage dehnen sich immer mehr aus. Bald spaltet sich die Menschheit in die Uhrenzeitler und die Echtzeitler. Beide Gruppen sind unfähig, die andere zu akzeptieren. Uhrenzeitler gibt es mehr, sodass die Echtzeitler bald Außenseiter werden und sich in Siedlungen in der Wüste zurückziehen. Krankheiten entwickeln sich, Tiere sterben massenweise, das Erdmagnetfeld spielt verrückt und die Pflanzen gehen ein - zu lange Nächte, zu heiße Tage. Julia fühlt sich einsam und verloren, zumal ihr Vater offenbar ein Verhältnis mit der Nachbarin hat.

"Ein Jahr voller Wunder" ist ein wundervolles Buch, so bedrückend es auch ist. Es erzählt vom Mut und der Verzweiflung der Jugend, von der Sturheit der Menschen allgemein und der Gedankenlosigkeit, mit der wir mit der Natur umgehen. Wie würden wir reagieren, wenn tatsächlich diese Katastrophe eintreffen würde? Gäbe es Zusammenhalt oder würden wir dem Nächsten jede Kleinigkeit neiden? Würden wir gemeinsam eine Lösung erschaffen oder wie im Buch nicht die Ursache, sondern die vermeindlich Andersdenkenden bekämpfen? Ich befürchte, die Menschheit neigt dazu, sich selbst zu zerstören und deshalb quasi automatisch das Falsche zu tun.

Dachte ich anfangs noch, dass Julia von einem einzigen außergewöhnlichen Jahr erzählt und am Ende irgendwie die Erde wieder ihren gewohnten, "richtigen" Rhythmus aufnimmt, doch da habe ich mich schwer geirrt. Trotzdem - es ist eine wunderbar erzählte Geschichte mit einem Szenario, das so abwegig gar nicht ist. Es hat mich in keinster Weise enttäuscht, sodass ich es gerne und guten Gewissens weiterempfehlen kann. Karen Thompson Walker hat laut Autorenbeschreibung dieses Buch in den Morgenstunden geschrieben, bevor sie ihrer Arbeit als Lektorin in einem Verlag nachging. Das nenne ich Leidenschaft! Und diese Liebe zu Büchern, zu Geschichten, zur Sprache merkt man diesem Buch auch auf jeder Seite an.