Authentische Familiengeschichte der deutschen Wirtschaftswunderzeit – hat mir sehr gefallen!

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kleinervampir Avatar

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Buchinhalt:

Lüneburg in den 50er Jahren: Annes und Bennos Ehe steckt in der Krise, die Kinder werden langsam flügge und ein neuer Wandel hält Einzug in der Bundesrepublik Deutschland. Während Benno sich von einem Schulfreund zur Gründung eines Möbelhauses überreden lässt, ist Anne alles andere als zufrieden mit einem Leben zwischen Küche und Kirche. Dann entdeckt sie bei ihrer Schwiegermutter einen kleinen roten Koffer: den Präsentierkoffer der Kosmetikfirma Avon. Anne würde zukünftig gerne die vielen Produkte daraus an die Frau bringen – doch für diese Freiheit bräuchte sie das Einverständnis ihres Ehemannes. Und der ist alles andere als begeistert….

Persönlicher Eindruck:

Die 50er Jahre haben die Wirtschaftswunderzeit eingeläutet und das Volk strebt nach Wohlstand und Neubeginn. Hier sind es die „kleinen Leute“, anhand derer der Leser Zeuge wird von dieser neuen Aufbruchsstimmung – diesmal nicht Fabrikanten, Hotelerben oder eben die Reichen. Die Familie, um die es in diesem Roman geht, das sind Vater Benno, einem Schreiner, seine Ehefrau Anna und die Zwillingen Lili und Leo. Beheimatet in kleinen Häuschen in Lüneburg und beispielgebend für zahllose andere Familien der deutschen Nachkriegszeit.

Anna ist dabei die Hauptfigur, ihr Denken und ihr Leben prägt die Geschichte. Die Ehe des Paars steckt in der Krise, nicht zuletzt durch die Kriegstraumata, die Benno immer noch mit sich herumschleppt. Aber auch Bennos Streben nach Höherem steht der kleinen Familie im Weg – er ist eben ein Handwerker und nicht wirklich zum Geschäftsmann im neu gegründeten Möbelhaus gemacht.

Geschäftsfrau – das ist das, was Annas Schwiegermutter Margarethe, eine recht unangepasste, moderne Frau und Friseurin des Ortes, für Anna im Sinn hat. Und so kommt Anna zum ersten Mal in Berührung mit Avon, jener amerikanischen Kosmetikfirma, deren Geschäftskonzept im Direktvertrieb im Haushalt der Kunden liegt. Margarethe entspricht übrigens so rein gar nicht dem üblichen „Schwiegermutter-Klischee“ und nimmt Anna schließlich unter ihre Fittiche.

Zum Glück dreht sich in diesem spannenden Familienroman nicht alles um das Thema Kosmetik – das fand ich nämlich sehr angenehm. Annas Avon-Beraterinnen-Thema ist sachte in die Handlung mit eingeflochten, dominiert diese aber nicht und stellt die Familiengeschichte in den Mittelpunkt des Plots. Ehekrise, Vertrauensverlust und Kriegstrauma sind ebenso Thema wie Neuanfang, Versöhnung und die Emanzipation der Frau. Dadurch wird der Roman zum authentischen Sittengemälde derjenigen Generation, die den Zweiten Weltkrieg erlebt und nun eine neue Ära vor sich hat.

Die Figuren sind liebevoll und mit Profil angelegt, gegensätzlich und doch wunderbar zueinander passend. Natürlich ist Schwiegermutter Margarethe unkonventionell und auch oft übergriffig, aber auf eine nette Art. Was mir nicht ganz so gut gefiel, war der schnelle Wandel im Denken bei Annas Eltern. An der Stelle sah man, dass so eine Geschichte und das Schicksal der einzelnen Figuren nicht so gut in nur einem Band erzählt werden kann und vieles dann eben nur an der Oberfläche kratzt.

Alles in allem habe ich es sehr genossen, diesen Nachkriegsroman zu lesen – ein eingängiger Schreibstil und bildhafte Beschreibung der Lebensumstände, Träume und Wünsche der im Buch begleiteten Familie taten das Ihrige, den Spannungsbogen bis zum Schluss hoch zu halten.

Fazit: eine Wirtschaftswundergeschichte ohne zwanghaftes Kleben an dem Avon-Beraterinnen-Thema, den ich guten Gewissens weiter empfehlen kann. Gelungen aus ganzer Linie!