Mit AVON in die Selbständigkeit

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miltonia 01 Avatar

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Die junge Mutter Anne tuckert in ihrer himmelblauen Isetta durch das winterkalte Lüneburger Land, neben sich einen großen Koffer voller Avon-Kosmetik. Das ist der Einstieg in dieses Buch, das sich sehr flüssig und unterhaltsam liest.

Anne hat es nach den Brandnächten des 2. Weltkrieges mit ihren Eltern in das kleine Lüneburg verschlagen, alle leiden mehr oder weniger noch an den Kriegstraumata, nicht nur Anne selbst und ihre Eltern, sondern auch der junge Tischler Benno, den Anne noch während des Krieges kennengelernt hat und der unter sehr glücklichen Umständen den Krieg als Soldat überlebt hat. Die beiden finden sich, aber der Alltag ist alles andere als leicht, trotzdem bekommen sie Zwillingen und ihre Liebe hilft über vieles hinweg.

Und dann beginnt der Aufschwung, Benno eröffnet mit einem alten Freund ein Möbelhaus und die Probleme beginnen. Das Möbelhaus läuft nicht gut, auch die Beziehung zwischen Anne und Benno kriselt. Sie möchte nicht nur Mutter und Hausfrau sein, sondern sich als Avon-Vertreterin selbständig machen. Unterstützt wird Anne darin von ihrer Schwiegermutter Margarethe, die ein absolutes Unikum ist, selbständige Besitzerin eines Friseursalons und modisch immer ganz vorn dabei. Ein unabhängiger Geist mit einem aktiven Liebesleben, wie es einer ehrbaren Witwe in den 50iger Jahren ganz bestimmt nicht zusteht.

Aber Anne braucht Bennos Zustimmung um arbeiten zu dürfen, ein Unding aus heutiger Sicht. Und auch die vielgeschmähte DDR, die nicht weit weg von Lüneburg lag, war da wesentlich fortschrittlicher. Nachdem Benno widerwillig zugestimmt hat, kämpft sich Anne durch die Tücken der Selbständigkeit, gewinnt aber bald nicht nur Kundinnen, sondern auch Freundinnen in den Landfrauen, die sie mit bunten Produkten versorgt. Das Geschäft läuft gut, was aber weder Benno noch den Kindern so richtig gefällt.

Mir hat das Buch sehr gut gefallen, man erfährt sehr viel über die Probleme und Ängste, die die Menschen nach dem Krieg noch tief in sich getragen haben und in der Regel alleine bewältigen mussten, da der alltägliche Überlebenskampf viel wichtiger war. Und wie wunderbar der Fortschritt dann in den Häusern eingezogen ist, mit Fernsehgeräten und so großartigen Erfindungen wie Dosenravioli, Tütenkartoffelpüree und löslichem Kaffee.

Vieles erscheint mir so unendlich weit weg und doch gleichzeitig sehr bekannt. Mein Fazit: ein wunderbarer Ausflug in die jüngere westdeutsche Geschichte, dafür von mir sehr gute 4 Sterne.