Zu wenig Avon

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alinescot Avatar

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Während Benno in ein Möbelhaus investiert und seine kleine Familie mehr oder weniger links liegen lässt, möchte seine Ehefrau Anne gerne wieder arbeiten und eigenes Geld verdienen. Aber so selbstverständlich ist ihr einfacher Wunsch Ende der Fünfziger leider nicht. Anne muss mit vielen Hindernissen kämpfen, gleichzeitig versucht sie ihre Ehe zu retten. Ob Anne es schafft, aus ihrem eigenen Schatten zu treten?

Das Buch wollte ich unbedingt wegen meiner Mutter lesen. Die war nämlich Anfang der Siebziger Avon-Beraterin, und das auch noch ziemlich erfolgreich.
Umso enttäuschter war ich dann, da das Thema "Avon" hier ziemlich untergeht. Die erste Hälfte des Romans ist schon lange vorbei, bis Anne endlich bei Avon anfängt.

Und trotzdem habe ich das Buch gerne gelesen, auch wenn es letztendlich in eine völlig andere Richtung geht als erwartet.
Die Hauptfiguren Benno und Anne haben kurz nach dem Krieg geheiratet. Zeitlich befinden wir uns hier in den Fünfzigern, doch besonders Benno hat die Folgen des Krieges noch lange nicht überwunden. Durch eingestreute Zeitsprünge in die Vergangenheit wird auch deutlich warum.
Doch anstatt mit seiner Frau über die Erlebnisse zu reden, schweigt er seine Probleme lieber tot und entfernt sich immer mehr von ihr. Stattdessen versucht er mit billigen Möbeln, Lüneburgs Möbelkönig zu werden.

Was mir besonders gut gefiel war, wie gut die Autorin die Atmosphäre der damaligen Zeit eingefangen hat. Das Verlangen nach Bakelit-Telefon, Fernsehtruhe oder Bluejeans wird ebenso zum Thema gemacht, wie das damalige Familienbild. Frauen wurden ziemlich kleingehalten, durften ohne die ausdrückliche Erlaubnis ihrer Ehemänner überhaupt nichts. Umso schöner mitzuerleben wie Anne Jensen, als eine der ersten Avon-Beraterinnen Deutschlands, bei Avon Karriere macht und über sich hinauswächst.

Die witzigen Stellen mochte ich sehr. Besonders lustig wird es, wenn Anne zum ersten Mal die Bäuerinnen der Gegend aufsucht und versucht, ihre Produkte vorzustellen. Und immer ist da die Sorge, was die Nachbarn wohl über einen denken könnten.
Weniger gut gefielen mir die flachen Nebenfiguren. Das waren oft richtige Stereotypen die genauso Handeln und Reagieren, wie man es erwarten würde. Etwas vorhersehbar also.
Zum Ende hin wird es leider an manchen Stellen etwas kitschig. Besonders eine Szene hat für mich auch gar nicht richtig zum Rest der Geschichte gepasst. Als ob man festgestellt hätte, da fehlt noch etwas Dramatik, und dann diese Szene noch hineingequetscht.

Sonst war es für mich eine nette, lesenswerte Geschichte, aber mit ein bisschen zu wenig Avon, und ein bisschen zu viel Kitsch.