Die Geister, die ich rief...

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alsterschwan Avatar

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„Ein Licht der Hoffnung“ von Marion Kummerow war mein erster Roman dieser Autorin (wobei mir eine Freundin schon „Eine Stadt der Hoffnung“ sehr empfohlen hatte) – aber bestimmt nicht mein letzter!
Zum Inhalt: Margarete Rosenbaum arbeitet 1941 als Hausmädchen bei Familie Huber. Das Problem: Herr Huber ist ein hochrangiger Nationalsozialist, quasi mit Adolf Hitler auf Du und Du, seine beiden Söhne sind aktive SS-Angehörige – und Margarete ist Jüdin und Herr Huber hat ihr bereits die Deportation angedroht...
Bei einem Bombenangriff auf Berlin wird die Villa vollkommen zerstört, das Ehepaar Huber und ihre Tochter Annegret tödlich getroffen (die Söhne sind nicht anwesend). Margarete überlebt und im Bruchteil von Sekunden trifft sie eine Entscheidung: sie tauscht ihre Strickjacke mit dem gelben Stern mit Annegrets Jacke und nimmt deren Kennkarte an sich. Aber die überlebenden Söhne stellen eine Gefahr dar, deshalb flüchtet Margarete (als Annegret) zu ihrer Tante Heidi nach Leipzig. Dort wird sie zwar von Wilhelm – dem jüngeren Huber-Sohn – gefunden, aber er gibt ihren Identitätsraub nicht weiter... Trotzdem entschließt sich Margarete, zu einer Freundin ihrer Tante in das „freie Frankreich“, nach Toulouse zu fliehen. Sie „strandet“ jedoch leider in Paris – so mehr sei aber an dieser Stelle nicht verraten...
Die Autorin hat eine fesselnden, bildhaften Schreibstil, der mich sehr gut in die Geschichte eintauchen ließ, so konnte ich wiederholt gemeinsam mit Margarete durch Paris flanieren. Es finden immer wieder überraschende Wendungen statt, mit denen ich nicht gerechnet hatte – kurzum: es blieb stets spannend! Öfter habe ich mir Sorgen gemacht, dass Margarete „auffliegen“ könne und habe gemeinsam mit ihr gezittert...
Die historischen Ereignisse sind gründlich recherchiert, so dass wir uns z.B. auf der Romanebene mit den Ergebnissen der Wannsee-Konferenz auseinandersetzen (müssen), weil Marion Kummerow die nationalsozialistische Terminologie benutzt oder die Huber-Söhnen ihr nationalsozialistisches Gedankengut darstellen lässt – für unsere heutigen Augen / Ohren sehr abschreckend und ekelhaft, aber gerade deshalb immer wieder erwähnenswert (gegen das Vergessen!).
Aber Margarete wird auch vor schwierige Entscheidungsfragen gestellt: „Hatte der Mensch das Recht, sich selbst zum Richter über Leben und Tod zu erheben? Wer war sie, dass sie gegen das Gebot „Du sollst nicht töten“ verstieß? Stellte sie sich damit nicht auf die gleiche Stufe wie die Nazis?“ (S.249)
Diese Frage nimmt die Autorin in ihrem Nachwort (für mich bisher außergewöhnlich: als Brief an die Leser*innen formuliert) noch einmal auf: „Eines der moralischen Dilemmas, mit denen sich Margarete auseinandersetzen muss, ist die Frage, ob man Menschenleben gegeneinander aufwiegen kann. Da sie diejenige ist, die unterdrückt wird, glaubt sie natürlich, dass ihr Leben genauso wertvoll ist wie das von Annegret. Aber was ist, wenn sie entscheiden darf, wer stirbt und wer lebt? Kann ein Mensch dieses Recht überhaupt haben?“ (S. 274)
Ich schätze es sehr, wenn ich in Büchern – außer der Geschichte an sich, die mich gut unterhalten hat – Fragen finde, die mich zum Nachdenken anregen – und über die Zeit des Nationalsozialismus können wir ja eigentlich nie genug nachdenken... Deshalb gibt es von mir eine klare Leseempfehlung für dieses Buch!
Kleine Anmerkung zum Schluss: und ja, ich denke, dass Margarete wohl noch weiterhin mit den Geistern leben muss, die sie gerufen hat, ...