Amerikanische Kriegsgefangenenschaft und die Folgen

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"Weitermachen, darum ging es, und zwischendurch etwas Spaß haben, ganz egal, welches Leben man lebte" (S. 342)


Sicher hätte es für Franz, den Großvater, ein anderes "mögliches Leben" geben können. In Amerika, wo er in Kriegsgefangenschaft war. Aber davon erfährt Martin, der Enkel, erst spät. Nämlich auf einer Reise in die USA zu den ehemaligen Kriegsgefangenenlagern, die Martin mit seinem fast 90jährigen Großvater unternimmt.

Man erfährt, dass es im Lager genug zu Essen gab. Und sogar Englischunterricht. Und so hat der Großvater sich von einem Sprössling einer einfachen Bergmannsfamilie im Ruhrgebiet zum Dolmetscher entwickeln können. Und daran nach der Rückkehr nach Deutschland anknüpfen können. Aber ausgewandert ist er nicht. Sondern in Deutschland geblieben bei seiner Frau und seiner kleinen Tochter.

Da der Enkelsohn gerade in einer ähnlichen - aber doch wieder ganz anderen - Situation steckt, bringt diese Reise ihn dazu, über seine Zukunft nachzudenken. Und darüber, welche Folgen der Krieg, die Kriegsgefangenschaft und die Erlebnisse des Großvaters für seine Familie hatten.

Wenn es in amerikanischer Gefangenschaft auch keine Toten durch Hungersnöte gab (was man immer über die Lage in den russischen Gefangenenlagern liest) so war die Stimmung doch schwierig. Der Krieg war nicht zu Ende. Und im Lager trafen die überzeugten Nazis, die auf den Endsieg hofften, auf diejenigen, die den Krieg längst verloren glaubten und einfach nur froh waren, überlebt zu haben. Und das gab großen Ärger im Lager. Und es kam zu viel Gewalt.
Und das war etwas, über das ich ehrlich gesagt noch nie nachgedacht hatte. Ich war (naiv?) weitgehend davon ausgegangen, dass alle Kriegsgefangenen zwar unfrei und zum Arbeitsdienst verpflichtet waren - aber doch weitgehend froh, überhaupt überlebt zu haben. Aber das scheint nicht ganz so gewesen zu sein.

Leider kann ich meinen Vater nicht mehr fragen. Er war in amerikanischer Gefangenschaft. Zwar nicht in den USA sondern in Frankreich - aber vom vielen Essen hat er auch erzählt. Und von der Entlausung. Und von Schokolade und Zigaretten - vorher im Krieg quasi nicht erhältlich. Und mein Opa war in englischer Gefangenschaft. In Italien und Ägypten. Dort zwar anscheinend nicht ganz so üppig verpflegt - aber doch froh, davongekommen zu sein.
Gerne würde ich wissen, ob es dort auch diese Konflikte gab.

Und so gibt zeigt dieses Buch einmal eine andere Facette der Kriegsgefangenschaft. Statt Massensterben in Russland schwere Konflikte und Vergangenheitsbewältigung. Der Autor dieses Buches erzählt dies sehr eindringlich und bildhaft. Ich konnte das Buch kaum zur Seite legen.

Die Haltung der Amerikaner, sich weitgehend an die Genfer Konventionen zu halten, die Gefangenen zwar arbeiten zu lassen - aber auch gut zu verpflegen und sich in kleinem Umfang um Bildung zu kümmern - das hat einen tiefen Eindruck bei den Deutschen hinterlassen. Bei den Kriegsgefangenen selbst - und bei den Familien und Freunden, denen das erzählt wurden. Nicht wenige sind danach in die USA ausgewandert. Und lange war Auswandern in die USA für viele Deutsche ein Traum.

Als ich dieses Buch gelesen habe, ist mir wieder in Erinnerung gekommen, wie positiv das Bild von Amerika in meiner Jugend in den 70er Jahren war. Danach ist das Bild gekippt - heute ist vieles anders. Und auch ich bin viel kritischer geworden.
Aber ich kann wieder gut verstehen, warum ich nach dem Abitur mein ganzes Erspartes zusammengekratzt habe für einen Flug nach Los Angeles.
Und übrigens war ich gerade im Frühjahr wieder da. Diesmal aber mit einem ganz anderen Bewusstsein. Aber die unvorstellbare Weite der Landschaft ist unverändert. Und auch diese wird in diesem Roman eindrucksvoll dargestellt.

Also: Unbedingte Lese-Empfehlung!