Kamerad unter Fremden, Fremder unter Kameraden

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jenvo82 Avatar

Von

„Der Blick nach vorn hatte sein Versprechen von der goldenen Zukunft längst verloren. Am Ende lag Schwärze, das Nichts, da waren sie sich einig, sie und ihr Vater.“


Inhalt


Gemeinsam mit seinem Enkel Martin unternimmt der betagte Franz Schneider noch einmal eine Reise nach Amerika, besucht die Orte seiner längst vergangenen Kriegsgefangenschaft während des 2. Weltkrieges. Dort wo er einst in Baracken gelebt hat und Baumwolle pflückte, wo er Freunde fand, die ihm wichtig waren und Menschen, die ihre Hitlerliebe mitgebrachten um andere damit zu tyrannisieren. Rückblickend ergibt sich das Bild über die vielen Jahre in der Obhut einer fremden Regierung, mit der Franz durchaus sympathisierte. Es zeigt sich, warum der alte Mann, ein Geheimnis um seinen verlorenen Finger macht und warum er seiner Tochter Barbara die Briefe einer Freundin zukommen lässt, die vielleicht in der Gunst seiner Zuneigung noch weiter ober rangierte als ihre Mutter. Und auch Martin entdeckt Seiten an seinem Großvater, die ihm bisher unbekannt waren und beginnt seine eigenen Beziehungen zu überdenken.


Meinung


Der junge Hamburger Autor Hannes Köhler setzt sich in diesem Roman mit einer eher ungewöhnlichen Problematik der Kriegsjahre auseinander, die in der Literaturlandschaft relativ unbefleckt daherkommt. Denn obwohl in der Gegenwartsliteratur die Thematik des zweiten Weltkrieges und seine Ausuferungen gerne im Mittelpunkt stehen, fand ich diesen Abstecher in ein amerikanisches Kriegsgefangenenlager sehr inspirierend und informativ. Man merkt dem Text die fundierte Recherchearbeit an, obwohl er wie im Nachwort vermerkt, ein fiktives Werk ist, lediglich in Anlehnung an historische Begebenheiten.


Eingebettet in eine Familiengeschichte erzählt der Autor aus dem Leben eines Mannes, der zwar dem Krieg in der Heimat entkam, nicht aber den Schrecken und Ängsten seiner fatalistischen Auswirkungen. Im Zentrum der Erzählung findet man eine besondere Spezies Mensch, ich würde sie als „Die Aufgelesenen“ bezeichnen, Menschen die in der Fremde für den offiziell politischen Gegner Strafarbeit leisten müssen. Doch die Lebensbedingungen sind nicht schlecht und die Arbeit zwar schwer aber auch gerecht. So dass es den Soldaten, die allesamt an der Front und im Hinterland gekämpft haben, gar nicht so schlecht geht wie anzunehmen. Vielmehr sind es ihre Einstellungen zum Leben, zum Krieg, ja auch zum Führer, die für Reibereien sorgen. Eine Art Gruppendynamik in den Lägern entsteht, zwischen denen, die auf den Endsieg Hitlers hoffen, anderen die sich klar auf die Seite der Amerikaner stellen und jenen, die sich schweigend zurückziehen oder ihr Fähnchen einfach in den Wind halten. Schon bald steuert der Leser auf den Kern der Geschichte zu, der sich zwischen Kameradschaft, Hass und Ausgrenzung befindet und der zeigt, welche Ausmaße das nationalsozialistische Gedankengut in den Köpfen der Menschen hinterlassen hat.


Doch das ist nicht alles, die Erzählung streift sehr viele zwischenmenschliche Belange, nicht nur die Gefühle der Soldaten, den Zwiespalt, in dem sich die Verantwortlichen befinden, sondern eben auch die langfristigen Auswirkungen auf das normale Leben nach dem Krieg, auf Familienbande, die zwar entsteht aber längst nicht so unbelastet ist, wie gewünscht. Das Buch ist sehr vielschichtig, in leiser eindringlicher Erzählsprache gehalten, so dass man sehr gut in die Geschichte hineinfinden kann. Doch bis zur Hälfte des Textes konnte der Funke nicht so richtig überspringen, vielleicht weil mir persönlich zu Vieles angesprochen wurde. Einerseits ist es nämlich die persönliche Sicht, die Erlebnisse des Kriegsbetroffenen, die besprochen werden, andererseits die gegenwärtige Handlung einer eher schweigsamen, durchaus belasteten Familiengeschichte zwischen Vater, Tochter und Enkelsohn. Der Wechsel der beiden Handlungsstränge konnte mich nicht immer fesseln, erschwerte mir in gewisser Weise die Nähe zum Text.


Fazit


Ich vergebe gute 4 Lesesterne für diesen alternativen Kriegsroman, der in weiten Teilen auch eine Familiengeschichte ist. Mit einer großen Portion Einfühlungsvermögen, interessanten Fakten und ansprechender Schreibweise kann das Buch absolut punkten. Gefühle werden hier sehr sachlich, äußerst präzise und passend zu den geschaffenen Charakteren transferiert, was für eine hohe Glaubwürdigkeit sorgt. Manchmal muss man Schlucken, ob der Dramatik im Stillen, manchmal kann man lächeln über den sorgsamen Umgang mit lebenslangen Freundschaften und an anderen Stellen driftet man etwas ab, hinein ins Leben, so wie es ist, nur mit den tiefen Spuren seelischer Verletzungen im Gepäck.