Ein Sommer ohne frische Brise

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern Leerer Stern
suse9 Avatar

Von

 

Der Titel „Ein Sommer aus Stahl“ lässt schon erahnen, dass es sich bei dem vorliegenden Roman nicht um eine leichte Lektüre für den Strandkorb handelt. Und so ist es dann auch. Die Autorin nimmt uns mit nach Piombino mit seiner Stahlfabrik und der Via Stalingrado im Arbeiterviertel direkt am Strand. Dieser Strand jedoch ist so ganz anders als wir ihn von unseren Urlauben an das Mittelmeer kennen. Ich finde dort Hitze, Schweiß, Halbstarke, die sich an der Bar treffen, üppige Blondinen, die Einladungen in die Umkleidekabinen nur zu gerne annehmen und vor Aufregung zitternde Männer mit Ferngläsern in der Hand, die auf die heranwachsenden Körper junger Mädchen gerichtet sind. Die Autorin versteht es wirklich gut, die Szenerie vor mir auszubreiten und ich fühle mich unwohl in meiner Haut, wenn sie beschreibt, wie ein Vater auf seine Tochter "aufpasst" oder zwei junge Mädchen halbnackt vor dem offenen Fenster eine Showeinlage für die Nachbarn abliefern. Fast fühle ich mich beim Lesen dieser Zeilen schon selbst wie ein Voyeur und nicht nur einmal bin ich versucht, das Buch zuzuschlagen. Aber ich lese trotzdem weiter, da man selten solch eine bildhafte Sprache in Romanen findet und ich bin fasziniert von der Detailtreue und außergewöhnlichen Beobachtungsgabe der Autorin. Und so begleite ich die Freundinnen Francesca und Anna, die ein starkes Band des Vertrauens verbindet, durch diesen Sommer, der für beide unglaubliche Veränderung mit sich bringen wird.


Mit ihrem ungewöhnlichen Schreibstil zeigt die Autorin mir eine Lebensweise, die mir völlig fremd ist. Der Umgang der Menschen in der Via Stalingrado ist es vor allem, der mich schockiert. Nicht nur einmal muss ich über vulgäre Ausdrucksweise, Schimpfwörter und respektlosen Umgang selbst Liebender untereinander schlucken. Ob die dargestellten Situationen überzeichnet oder realistisch dargestellt sind, weiß ich nicht, jedoch bin ich über die Tristesse und Ausweglosigkeit der Menschen betroffen. Nicht nur einmal möchte ich in das Geschehen eingreifen, die Protagonisten vor dem Abgrund bewahren, auf den sie doch unweigerlich zusteuern.

Dennoch gelingt es mir nicht, zu einem von ihnen eine intensivere Verbindung aufzubauen. Sie bleiben mir fremd und ich bin froh, dass ich ihnen im realen Leben nicht begegnen muss, da ich nicht wüsste, wie ich mich verhalten sollte. Das liegt wohl vor allem an den rüden Umgangsformen, der Art und Weise wie und was sie von sich geben, wie sie über ihre Eltern, ihre Freunde, sprechen. Auch wenn dieser Ton wohl in die dargestellte Szenerie passt, hatte ich meine Schwierigkeiten damit. Leider kann die Autorin das Anfangstempo des Romans nicht komplett beibehalten. In dessen Mitte zog sich die Handlung doch sehr und kam nicht ohne Wiederholungen aus. Den Schluss des Buches gestaltete Silvia Avallone jedoch wieder sehr spannend und das letzte Drittel machte es mir unmöglich, den Roman aus der Hand zu legen.

„Ein Sommer aus Stahl“ ist ein gutes, sehr bildhaftes Buch, das zwar kleine Schwächen hat, jedoch mit seiner Atmosphäre ein beklemmendes Gefühl erzeugt. Letztendlich bin ich froh, dass ich nicht am Strand von Piombino baden gehen muss, sondern an einem, der sich durch sauberen Sand und eine frische Brise auszeichnet.