Anspruchslose Familiengeschichte

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Rezension zu "Ein Sonntag mit Elena" von Fabio Geda

Zum Inhalt:
Ein 67-jähriger Mann, seit 8 Monaten verwitwet, vereinsamt zunehmends in seiner Wohnung in Turin. Wo sich einst seine Frau und seine Kinder tummelten und das Leben bunt und aufregend war, sind es jetzt nur noch schmerzvolle Erinnerungen, die seinen Alltag begleiten.
Umso mehr freut er sich, dass ihn eines seiner drei Kinder plus Familie am Sonntag besuchen kommt. Doch daraus wird dann aufgrund eines Unfalls nichts.
Fluchtartig wird es ihm daraufhin in seiner Wohnung zu eng und er muss raus. Zumindest raus aus den eigenen vier Wänden - wenn man sein eigenes Leben schon nicht verlassen kann.
Als er sich im Skatepark auf eine Bank setzt, begegnet er Elena und Gaston, die wie er gerade so ihre Schwierigkeiten im Leben haben.
Kurzerhand lädt er beide zum Essen ein, was nicht nur den Sonntag für alle verändern soll...


Kritik:
Den Namen des Hauptprotagonisten, dem alten Mann, erfährt man als Leser_in lustigerweise nie. Vielleicht ist das gut so und möchte der Autor jedem die Möglichkeit geben sich in den alten Mann hineinzuversetzen. Ein Name würde hier unnötige Assoziationen schaffen und eine Projektion auf sich selbst erschweren.
Stattdessen wird die Geschichte aus der Perspektive seiner Tochter Giulia erzählt, wodurch sie auch aus mehreren Dimensionen besteht und immer gefärbt ist, von den Meinungen, die sie über ihren Vater hat und den Erfahrungen, die die beiden miteinander gemacht haben. Dies führt dazu, dass man als Leser_in hin und her gerissen ist: Einerseits zwischen seiner Rolle als armer alter Mann, der, nachdem seine ganze Familie ihn aus verschiedensten Gründen verlassen hat, allein in seiner turiner Wohnung versauert und mit dem man Mitleid empfindet. Andererseits eröffnet seine Tochter Rückblicke in die Vergangenheit, die ihren Vater als erfolgreichen Ingenieur zeigt, der permanent um die Welt reist, seine Familie daheim sehnsüchtig auf ihn warten lässt und daneben noch seine Frau betrügt und eine Art Doppelleben führt. So wird man sich beim Lesen immer wieder zwischen Rachegelüsten, Reuegefühlen und Mitleid wiederfinden.
Der Autor versteht es seine Charaktere vielschichtig zu zeichnen - so wie das Leben und die Menschen eben sind und dabei nicht zu werten.

Im Großen und Ganzen geht es um Familie und darum, dass wir uns öfter anrufen oder besuchen und miteinander darüber reden sollten was uns wirklich bewegt. Sonst verliert man leicht den Anschluss und das Verständnis füreinander.
Und darum, dass auch fremde Menschen einem den Sonntag versüßen und in schwierigen Momenten für einen da sein können - vielleicht sogar besser als das näherstehende Menschen könnten.
Und darum, dass sich alles wieder zum Guten wenden kann, wenn wir uns einen Ruck geben und auch nach langer Zeit wieder aufeinander zugehen. Und dass dieser Ruck auch von außen kommen kann.

Leider hält das Buch im letzten Drittel nicht das, was es in den ersten zwei Dritteln verspricht. Irgendwie habe ich ständig auf einen Höhepunkt gewartet oder auf etwas, das nun alles auflöst. Nicht dass Fragen offen blieben - der Autor hat am Ende eh alles erklärt. Aber es hat sich alles so langsam und etwas langweilig in Luft aufgelöst. Ein bisschen wie im echten Leben. Doch dafür lese ich keine Bücher 😉