(Irr)Glaube und Selbstfindung

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wacaha Avatar

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Lyle Hovde ist 65 Jahre alt, glücklich mit seiner Frau Peg und lebt seit er denken kann im kleinen Ort Redford in Wisconsin. Seit dem Tod seines Sohnes Peter hat er mit Gott nicht mehr viel am Hut, er hat durch das tragische Ereignis schlicht seinen Glauben an ihn verloren. Sein ländliches ruhiges Leben ändert sich, als seine Tochter Shiloh mit seinem geliebten Enkelsohn Isaac zurück in ihr Elternhaus zieht. Der kleine Junge bringt Schwung in das Leben der älteren Dorfbewohner und ist Lyles ganzer Stolz. Beunruhigt bemerken Peg und Lyle, dass Shiloh sich immer mehr in ihren Glauben zurückzieht, bedingt durch ihren Anschluss an eine neue Glaubensgemeinschaft. Diese vereinnahmt sie immer mehr und voller hilfloser Besorgnis müssen die Großeltern zusehen, wie ihr Enkelsohn ebenfalls tiefer in die Strukturen der sektenähnlichen Gemeinschaft integriert wird und dadurch in Gefahr gerät.

„Ein wenig Glaube“ von Nickolas Butler ist ein Buch, das zu Denken gibt. Es ist aus Sicht von Lyle, einem älteren Mann in einer ländlichen Gegend, der oftmals über sein bisheriges Leben reflektiert, beschrieben – eine sehr interessante Perspektive mit neuen Sichtweisen auf die kleinen und großen Dinge des Lebens. Insbesondere das Thema des Glaubens wird häufig aufgegriffen, der Leser lernt verschiedene Personen in Lyles Umfeld kennen, die alle eigene Zugänge zum Glauben für sich gefunden haben. Des Weiteren wird deutlich, wie gefährlich ein zu fanatisch ausgelebter Glauben werden kann, wenn er manipulativ eingesetzt wird – bis hin zum Gefährden der Menschen, die einem am Wichtigsten sind. Inspiriert ist die Geschichte von einer wahren Begebenheit, bei der ein kleines Mädchen aufgrund unterlassener Hilfeleistung sterben musste, da die Eltern mehr daran glaubten, es „gesundbeten“ zu können als an die Möglichkeiten der modernen Medizin.

Dem Autor ist es in dem Buch sehr gut gelungen, Lyles Emotionen zu transportieren. Seine Position des hilflosen Außenstehenden, der ausgegrenzt wird und aber nichts lieber tun würde, als das sich androhende Unheil von einem geliebten Menschen abzuwenden berührt und macht betroffen. Sowohl seine Besorgnis, als auch seine unendliche Liebe gegenüber seiner Familie wird absolut spürbar.

Nickolas Butlers verfügt über einen angenehmen Schreibstil, der sich manchmal allerdings in der blumigen Sprache mit all ihrer Vielzahl der Details verliert und sich deshalb an manchen Stellen etwas in die Länge zieht. Sowohl in der Beschreibung des manchmal erschwerten Alltags in einer ländlichen Kleinstadt Wisconsins, als auch der kleinen Freuden, welche die Menschen dort noch richtig wertschätzen und genießen können geht die Schilderung sehr tief. Gut gefallen haben mir die zahlreichen Bilder und Metaphern, die neue Blickwinkel eröffnen.

Teilweise wurde für meinen Geschmack zu viel Wert auf die Nebengeschichten und Beschreibung des „Außen-Herum“ gelegt und zu wenig Fokus auf das eigentliche Thema: Wie gelingt es der Glaubensgemeinschaft, Shiloh so massiv von ihren Eltern abzusondern und einzunehmen, dass sie sogar das Leben ihres Kindes aufs Spiel stellt? Der Leser erfährt leider zu wenig aus ihrem Alltag und hinsichtlich ihrer Sicht des Glaubens, um wirklich nachvollziehen zu können, warum es so weit kommen musste. Gefühlt wurde der eigentliche Kern des Buches zu einer Nebengeschichte abgedrängt, die noch dazu offen endet – mein größter Kritikpunkt. Viele Handlungsstränge bleiben in der Luft hängen, der Leser ratlos zurück. Gerne hätte ich mir zumindest bei manchen eine (wenn auch nur teilweise) Auflösung gewünscht.

Dennoch stimme ich der absolut treffenden Beschreibung des Klappentextes zu einhundert Prozent zu: Ein „schmerzhaft-schöner Familienroman, der die Macht und die Grenzen des Glaubens mit besonderem Feingefühl erkundet.“