Was ist Liebe?

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kleine hexe Avatar

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Liebe ist mit einem kleinen Jungen auf dem Friedhof Verstecken zu spielen.
Liebe ist diesem kleinen Jungen den schmackhaftesten Apfel der Welt zu zeigen, zu erklären und zu geben, einen Apfel der nach Erdbeeren und aller Süße der Welt schmeckt.
Liebe ist den Tod des eigenen Kindes zu überwinden und ein fremdes Mädchen zu adoptieren und es bedingungslos zu lieben.
Liebe ist all die pubertären Terroreinlagen des Mädchens zu erdulden, nie den Kontakt zum Mädchen abreißen zu lassen und es weiterhin bedingungslos zu lieben.
Liebe ist dem Mädchen – nun eine junge Frau - und ihrem Sohn zuliebe, in eine Kirche zu gehen, in der einem alles fremd und unangenehm ist. Aber wenn die junge Frau das so will, nimmt man es klaglos hin. Die Eltern wollen verhindern, dass der Kontakt zur Tochter und zum Enkel abbricht.
Liebe ist zu akzeptieren, wenn ein fremder unsympathischer Mensch das eigene Leben vor anderen Leuten ausbreitet und seine persönlichen Ansichten darin hineininterpretiert, nur um in der Nähe der Tochter und des Enkelsohnes bleiben zu können. Der selbst ernannte Priester tut dies, weil er Shilohs Eltern instrumentalisieren will, sie den anderen Gläubigern als Anhänger darstellt um dadurch sein eigenes Ansehen zu steigern.
Liebe ist weiterhin in diese Kirche zu gehen, obwohl man den Schweinepriester durchschaut in all seinen schlechten Absichten und betrügerischen Plänen, nur um weiterhin präsent zu sein im Leben der Tochter und des Enkels.
Liebe ist dem kranken Enkel beizustehen, ihn buchstäblich in letzter Sekunde der Sekte zu entreißen und in ein Krankenhaus zu bringen.
Liebe ist die Tochter zu lieben obwohl sie dem Vater Besuchsverbot im Krankenhaus erteilt hat, weil der Enkel im Koma liegt und künstlich am Leben erhalten wird. Und Liebe ist auch, sein Haus trotz des Besuchsverbots, der Tochter weiterhin uneingeschränkt zur Verfügung zu stellen.
Liebe ist sich über das Besuchsverbot hinwegzusetzen und dem Kind einen blühenden Apfelzweig ins Zimmer zu stellen.
Liebe ist mit seinem ganzen Herzen im Stillen und mit den wahren Freunden für das Leben des Enkels zu beten.
Liebe ist in einem späten Wintereinbruch eine ganze Nacht Feuer im Apfelgarten am Leben zu erhalten, bei Sturm und heftigen Schneefall, um wenigstens ein paar Apfelbäume zu retten.
Liebe ist dem todkranken Freund den Herzenswunsch zu erfüllen und ein wunderschönes Thanksgiving im sonnigen September zu feiern, weil nicht sicher ist, ob der Freund bis Thanksgiving noch lebt oder schon zu schwach sein wird, um am Fest teilzunehmen.
Liebe ist dem Freund beizustehen, ihn zu allen Arztterminen zu fahren, zu pflegen, bei ihm zu sitzen, ihm das Gefühl zu geben, nicht allein zu sein.
Liebe ist, sich mit seinem Partner wortlos zu verstehen, zu wissen was der geliebte Mensch denkt, was wichtig ist, worauf es wirklich ankommt im Leben.
Liebe ist all das und noch vieles mehr, aber vor allem, sie ist leise, unaufdringlich, immer präsent, immer eine Stütze für die anderen.
Aber mal eine andere Frage: was ist Glaube? Wie weit kann oder darf Glaube gehen? Für einen Menschen zu beten ist gut und schön, wir tun es ja alle, die an Gott glauben. Aber kann das Gebet wirklich den Arzt oder die medizinische Behandlung ersetzen? Kann der Glaube Insulin ersetzen? Der Glaube versetzt bekanntlich Berge. Den Blutzuckerspiegel aber nicht.
Kann man wirklich ein fünfjähriges Kind zwingen kranke Menschen zu berühren, weil man das Kind als Heiler darstellen will? Heiler mit magischen Kräften, die aber durch das Gebet des betrügerischen Priesters gelenkt werden müssen? Hat Shiloh, die Mutter des kranken Isaac, wirklich geglaubt, sie würde ein Heilerkind haben, oder wollte sie nur nicht ihre Verbindung zum falschen Prediger aufs Spiel setzen? Wann geht Glaube in Fanatismus über?
Kreationismus oder Evolution? Ist das wirklich eine Frage? Schlagen wir sie doch mit eigenen Argumenten. Gott hat die Sonne nicht am ersten Tag geschaffen. Bis dahin gab es also nicht den 24 Stunden Tag, also hätte der erste Tag länger dauern können, einige Millionen Jahre vielleicht? Und warum nicht Evolution akzeptieren? Hat Gott nicht nach der Sintflut und mit Erschaffung des Regenbogens versprochen, sich nicht mehr in die Geschicke der Erde einzumischen? Wäre da also eine nachträgliche Evolution nicht annehmbar? Das Thema der Kreation wird nicht vordergründig im Roman behandelt, nur am Rande, in einem Gespräch zwischen Peg Hovde, Isaacs Großmutter und einer jungen streng gläubigen Frau, die lauthals und selbstsicher ihre kreationistischen Theorien posaunt.
Dies ist ein berührendes Buch, das keinen kalt lässt. Aus jeder Seite schlägt einem die Liebe entgegen, in ihrer schönsten und reinsten Form, selbstlos, uneigennützig, immer auf das Wohl und das Glück der anderen bedacht. Zu keiner Zeit kitschig oder pathetisch, ist die Liebe die Lyle und Peg vereint und die sie ihrer Tochter, ihrem Enkelsohn, ihren Freunden und der Natur angedeihen lassen herzerwärmend, ergreifend und bezaubernd. Im Kontrast dazu steht Shiloh, die trotz der Liebe die sie seit ihrer frühesten Kindheit erfahren hat, zu einer engstirnigen bornierten Sektiererin wird, das Leben ihres Kindes aufs Spiel setzt, weil ihr Prediger Glaube und Gebet über alles setzt. Sie bricht den Kontakt zum Vater ab, verzeiht ihm sein Eingreifen nicht. Aber Lyle musste eingreifen. Isaac lag im Sterben, der Schweinepriester zog es vor mit anderen Sektenmitglieder zu beten anstelle das Kind in Behandlung zu geben. Und weil Lyle recht hat und Shiloh erkennen muss, wie falsch sie an ihrem Kind gehandelt hat, zieht sie es vor, Lyle das Zerbrechen ihrer Beziehung mit dem Prediger vorzuwerfen. Aber der Prediger ist ein Betrüger. Er hat andere Liebschaften nebenher, eine andere Frau geschwängert, Geld entwendet, den kleinen Isaac gegen Bezahlung für Kranke beten lassen.

Jetzt könnten wir sagen, das geschieht weit weg von uns, irgendwo in Amerika. Wirklich? Ist Amerika wirklich so weit weg? Wer erinnert sich heute noch an den Fall „Olivia“, das sechsjährige Mädchen aus den Neunzigern? Das Mädchen hatte Krebs, die Eltern vertrauten dem Wunderheiler Ryke Geerd Hamer und verweigerten die Behandlung für das Kind. Erst nachdem den Eltern das Fürsorgerecht entzogen wurde, konnte das Kind behandelt und geheilt werden. Andere Kinder hatten nicht so viel Glück. Immer wieder werden Fälle in Westeuropa bekannt, in denen Gebete und Vitamine mehr Vertrauen entgegengebracht wird als der Medizin. Wenn das bei Erwachsenen geschieht, können wir das hinnehmen. Gegen Borniertheit ist kein Kraut gewachsen. Aber im Fall von Kindern muss ein klarer Trennstrich gezogen werden. Zum Glück erlaubt es das Gesetz in der EU den Eltern in solchen Fällen die Erziehungsberechtigung zu entziehen und das Kind in eine korrekte medizinische Behandlung zu geben.
Butler greift in seinem Buch dieses Thema auf, aber nicht vordergründig, marktschreierisch. Sehr still und zurückhaltend und nur sehr langsam wird immer mehr der Problematik aufgedeckt. Wie nebenbei erfahren die Großeltern, was der Prediger mit ihrem Enkel vorhat, das Kind als Heiler durch Gebet und Fürsprache einzusetzen. Das erste Mal merken Lyle und Peg, dass etwas im Argen liegt, als Isaac den ersten diabetischen Anfall hat und Shiloh ihnen vorwirft, das Kind ins Krankenhaus gebracht zu haben. Das steigert sich, als Shiloh die Besuche ins Elternhaus unterlässt, weil der Vater ihr nicht gläubig genug sei. Erst nach dem Gespräch Lyles mit der Chorleiterin der Sekte ist klar, der Junge schwebt in Lebensgefahr und Lyle greift dann ein und holt das Kind mit Gewalt aus dem Elternhaus raus um es ins Krankenhaus zu bringen.
Gottesglaube ja, aber nicht Fanatismus. Mit Liebe und Verständnis kann man das Leben meistern. Dies ist vielleicht die Kernaussage des Buches.
Abschließend einen bekannten Spruch aus den Korinthern:
Nun aber bleibt Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen. Dieses Buch erbringt einen wunderschönen Beweis für diesen Spruch.