Wenn der Glaube alles überschattet

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carlinetyyni Avatar

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Noch vor der eigentlichen Lektüre des Buches zu lesen, dass die folgende Geschichte wahren Begebenheiten nachempfunden ist, das gibt ein komisches Gefühl. Solche Randbemerkungen erfolgen schließlich meist nur vor tragischen, unfassbaren oder verstörenden Geschichten und Filmen, die ein Happy End fast unmöglich machen.

Nickolas Butler beginnt seinen neuen Roman „Ein wenig Glaube“, aus dem Amerikanischem übersetzt von Dorothee Merkel, nach seinem Disclaimer aber erst einmal vermeintlich idyllisch. Es ist Frühling, die Sonne scheint. Der Großvater Lyle spielt mit seinem fünfjährigen Enkelsohn Isaac Verstecken. Während die Tatsache, dass die beiden dies auf einem Friedhof tun anfangs verwirrt, ergibt es im Laufe der Geschichte einen Sinn. Lyle ist ein Familienmensch, der für seine Familie zusammen mit seiner Ehefrau Peg kämpfen musste. Ihr Sohn starb mit nur neun Monaten, Lyle verlor aufgrund dieser tragischen Umstände seinen Glauben. Mehr aus Gewohnheit besuchten er und seine Frau weiterhin jeden Sonntag die Kirche und erfuhren drei Jahre später dort von einem Mädchen, das unter widrigen Umständen geboren wurde und nun Eltern braucht. Lyle und Peg nahmen sich sofort der Kleinen an und von nun an war Shiloh Teil ihrer Familie.
Der Roman befasst sich mit der Zeit, in der Shiloh gemeinsam mit ihrem Sohn Isaac bei ihren eigenen Eltern unterkommt. Durch Erinnerungen von Lyle erfahren Leser*innen wie es dazu gekommen ist. Der Fokus des Romans liegt aber auf, wie der Titel vermuten lässt, dem Glauben. Shiloh ist zutiefst gläubig und Mitglied des Konfessionslosen Bund des Flussstätterlandes, einer Kirche, die sich in einem alten Kino zu langen Gottesdiensten zusammenfindet. Obwohl Lyle seit Rückkehr seiner Tochter von deren starkem Glauben irritiert ist, geht er gemeinsam mit Peg und Enkelsohn Isaac regelmäßig zu den Treffen. Seine Familie soll nicht aufgrund unterschiedlicher Auffassungen von Glauben auseinanderfallen. Shilohs Verhalten ändert sich, sie kommt dem Obersten ihrer Gemeinde näher. Lyle bemerkt, dass dieser immer stärkeren Einfluss auf seine Tochter hat und diese beginnt sich von ihm abzuwenden.

Die Leser*innen begleiten Lyle in dieser lähmenden Situation, verstehen ebenso wenig wie er, wie es soweit kommen konnte und warum Shiloh und ihre Gemeinde die Krankheit seines Enkelsohns nicht untersuchen lassen, sondern nur mit Hilfe von Gebeten heilen wollen. Butlers simpler Schreibstil passt zu dem einfachen Mann Lyle und seiner scheinbar ausweglosen Situation das Leben seines Enkelsohnes zu retten. Das klingt nun viel mehr nach Krimi als während des Lesens wahrgenommen wird. Im Nachhinein wirkt es dafür umso mehr so. Eine packende Familiengeschichte, die die meisten Leser*innen wohl aufgewühlt zurücklassen wird.