Wenn der Glaube lauter schreit als die Vernunft

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Peg und Lyle haben lange verzweifelt versucht ein weiteres Kind zu bekommen, nachdem ihr erster Sohn kurz nach der Geburt gestorben ist. Sie hatten schon fast aufgegeben, als sie die Möglichkeit bekamen ein Baby zu adoptieren, Shiloh die fortan ihre Tochter ist. Mittlerweile sind Peg und Lyle im Rentenalter und die Beziehung zu ihrer Tochter ist oftmals angespannt. V.a. seit Shiloh wieder zu ihren Eltern gezogen ist, zusammen mit ihrem Kind Isaac. Peg und Lyle lieben Isaac über alles und freuen sich, ihre Familie wieder um sich zu haben und ein bisschen frischen Wind in ihr Leben zu lassen. Doch ihr Leben wird immer stärker von Sorgen überschattet. Nicht nur, dass sich Shiloh einer sehr radikalen Glaubensgemeinschaft angeschlossen hat, die sie immer mehr vereinnahmt und von ihren Eltern entfremdet. Dann wird auch noch bei Lyles bestem Freund Hoot Krebs im Endstadium diagnostiziert, was Lyle aus der Bahn zu werfen droht.

In letzter Zeit finde ich Geschichten über andere Glaubensgemeinschaften, Sekten etc. sehr interessant. Solche Bücher geben neue Blickwinkel und regen mich v.a. zum Nachdenken an. Als ich mit "Ein wenig Glaube" angefangen habe, war ich mir jedoch zunächst nicht sicher, ob das was wird, da Butler einen sehr detailreichen Schreibstil hat, was oftmals zu viel sein kann. Hier jedoch hat es immer genau das richtige Maß getroffen, ich habe mich nie gelangweilt beim Lesen. Ganz im Gegenteil, Butler schafft es auf sehr berührende Weise, die Figuren aufleben zu lassen und sie in ihrer Umgebung zu verankern. Der Detailreichtum seiner Erzählung und die ausschweifenden Beschreibungen können einen im ersten Moment abschrecken haben am Ende aber genau zu der geshcichte gepasst und sie zu dem gemacht, was sie ist. Es passiert bis ins letzte Vierteil auch eigentlich gar nicht so viel, es ist eher der Alltag den wir erleben, die Liebe von Peg und Lyle zu ihrer Tochter und ihrem Enkelkind, ihre Verzweiflung, die Veränderungen mitansehen zu müssen, ohne etwas tun zu können und schließlich auch die Sorge um Hoot. V.a. letzteres hat mich tief getroffen, denn Butler schildert die Krankheit sehr realistisch. Auch die Überlegungen die in so einer Situation unweigerlich aufkommen, ob es sich lohnt, eine Behandlung anzustreben oder ob man doch lieber die letzten Tage mit seinen Liebsten genießen soll. Lyles Verzweiflung wurde immer deutlich spürbar, auch seine alte Trauer und der Schmerz über den Verlust seines Sohnes, der ihn auch vom Glauben abgebracht hat.

Obwohl es nicht nur darum geht, nimmt der Glaube in diesem Buch natürlich eine sehr große Rolle ein, schwebt er doch über allem anderen. Man fragt sich als Leser selbst, was man in solchen Situationen tun würde, ob man selbst glauben kann an etwas Größeres, an eine höhere Macht. Aber man fragt sich auch, was passieren muss, dass man sich einer solchen Sekte, wie sie hier beschrieben ist, anschließt. Wie es sein kann, dass man sich so im Glauben verliert, dass die Vernunft ausgeschaltet wird. Wie es sein kann, dass man an so etwas wie Gesundbeten oder andere Praktiken glaubt und dabei sogar das Leben anderer Menschen riskiert. Wie man als Mutter so blind sein kann gegenüber den Schmerzen seines eigenen Kindes. Wie man sich als Frau so dem Mann unterordnen kann und dabei sogar seine eigene Persönlichkeit aufgibt. Und wie es sein kann, dass man es zulässt, dass der eigene Glaube die Familie entzweit, nur weil nicht jeder dort den gleichen starken Glauben hat wie man selbst.

"Ein wenig Glaube" ist aber auch ein Familienroman und der Zusammenhalt von Peg und Lyle aber auch von ihren Freunden hat mir sehr imponiert. Sie sind füreinander da, auch wenn es mal nicht gut läuft und stehen stets mit Rat und Tat zur Seite - selbst mitten in der Nacht oder wenn sie gar nicht wissen, was eigentlich los ist. Sie sind einfach da, damit der andere nicht alleine sein muss mit seinen Gedanken. Auch diese Zuneigung und Liebe hat Butler wunderbar beschrieben und man kann sie als leser förmlich fühlen. Alle Figuren fand ich sehr glaubwürdig, selbst, wenn manche nur am Rande auftauchen. Sie haben das Gesamtkonstrukt perfekt ergänzt.

Fazit: Butler hat mit "Ein wenig Glaube" ein tolles Buch geschaffen, dem ich viele leser wünsche. Es lenkt den Blick des Lesers auf andere Glaubensgemeinschaften und bringt ihn zum Nachdenken. Das Buch basiert auf einer wahren Begebenheit, was es noch viel eindringlicher gemacht hat für mich.