Wenn Glaube fanatisch wird

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miro76 Avatar

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Gleich in der ersten Szene begleiten wir Lyle und seinen Enkel Isaac auf den Friedhof, wo sie ein Grab säubern. Es handelt sich um die letzte Ruhestätte von Lyles Sohn, der in seinem ersten Lebensjahr verstorben ist. Die Stimmung zwischen Opa und Enkel ist innig und ungetrübt. Das Kind wird bedingungslos geliebt und es scheint, als könnte nichts daran rühren.

Doch Tochter Shiloh gerät in die Fänge einer christlichen Freikirche, verliebt sich in den etwas dubiosen Prediger und ist der festen Überzeugung, dass ihr Sohn ein Heiler ist.

Die Großeltern bemühen sich aus ganzem Herzen, den Kontakt zu ihrer Tochter und ihrem Enkelsohn aufrecht zu halten, auch wenn das bedeutet, dass sie sonntäglich in dieser Kirche beten müssen.

Leider reichen ihre Bemühungen nicht aus, Shiloh ist überzeugt, dass ihr Vater nicht wirklich glaubt und so Satan in die Familie bringt, denn ihr Sohn erkrankt. Es stellt sich heraus, dass er an Diabetes leidet, was unbehandelt dramatische Folgen haben kann.

Für mich als Österreicherin ist dieses Thema brandaktuell, denn wir hatten erst im Herbst so einen Fall. Ein Kind ist gestorben, weil es aus Glaubensgründen keine medizinische Hilfe bekommen hat. Diese massive Verblendung ist schwer zu begreifen.

Lyle und seine Frau Peg versuchen mit Engelsgeduld die Unstimmigkeiten zwischen ihnen und ihrer Tochter zu überbrücken. Mit der Lebensweisheit des Alters und der unbegrenzten großelterlichen Liebe versuchen sie Unmögliches.

Der Autor lässt dieses liebenswerte Paar äußert emphatisch auftreten; nicht nur ihrer Tochter gegenüber, auch Freunden und Fremden. Sie stellen sich ihren Zweifeln, verlieren nie die Geduld und kaum den Mut.

"Ein wenig Glauben" ist ein ruhige, unaufgeregte Geschichte über eine Tragödie, die sich mehrmals im Jahr in Amerika abspielt. Fanatischer Glaube ersetzt jede Rationalität. Allerdings gelingt es dem Autor sensibel mit dem Thema umzugehen. Er verurteilt Glaube und Gott nicht generell. Er möchte nur dessen Grenzen aufzeigen. Er erzählt uns auch, wie hilfreich und tröstlich Glaube sein kann, wenn man ihm nicht blind folgt.

Ich habe diesen Roman unheimlich gerne gelesen und mit Lyle und Peg in ihrer Hilflosigkeit mitgelitten. Es ist eine berührende Geschichte, die mich als Leserinn betroffen und traurig zurücklässt, auch wenn sie mit einem Hoffnungsschimmer endet.