Wie weit darf Glaube gehen?

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
tsubame Avatar

Von

Mit "Ein wenig Glaube" rührt Nickolas Butler an ein Thema, bei dem man sich in heutiger Zeit leicht in die Nesseln setzen kann. Ich hatte zunächst die Befürchtung, dass die Geschichte ins Schwülstige abrutschen könnte, doch Nickolas Butler ist ein guter Erzähler, der all seinen Figuren ihr Recht auf Glaubensfreiheit lässt, sich aber dennoch nicht scheut, Religion und Glauben in Frage zu stellen und wenn nötig auch zu kritisieren.
Der Roman beginnt mit einer Szene auf dem Friedhof. Lyle Hovde, Hauptprotagonist der Geschichte, ist mit seinem Enkel Isaac unterwegs, um sich um das Grab seines Sohnes zu kümmern, den er in jungen Jahren verloren hat. Enkel und Großvater haben eine harmonische und innige Beziehung, nichts kann den Frieden trüben, so scheint es. Allmählich erfährt man, dass Isaac der Sohn von Lyles und dessen Frau Pegs Adoptivtochter Shiloh ist, die übergangsweise wieder bei ihnen eingezogen ist. Shiloh hat sich einer religiösen Sekte angeschlossen und verliebt sich schon bald in deren charismatischen Führer. Sie überredet ihre Adoptiveltern, ebenfalls mit in das Gebetshaus, ein ehemaliges Kino, zu kommen, und obwohl Lyle und seine Frau eigentlich viel lieber in ihre eigene Kirche gehen würden, stimmen sie dem Vorschalg ihrer Tochter zu.
Lyle jedoch bleibt der skeptische Beobachter und Zweifler und bekommt schon bald die Sanktionen seiner Tochter zu spüren, die ihm schließlich den Umgang mit seinem Enkel verbietet.
Nickolas Butlers Kunst besteht darin, nicht nur die fortschreitende Entfremdung zwischen Eltern und Tochter darzustellen, sondern auch die Liebe und Ohnmacht zu vermitteln, mit der Lyle und Peg auf ihre eigene Art versuchen, diesen Prozess aufzuhalten. Im Gegensatz zu der Sekte, die Liebe predigt, sind sie es, die Liebe praktizieren – nicht nur im Umgang mit ihrer Tochter und ihrem Enkel, sondern auch im Umgang mit den Menschen, die sie ihr Leben lang begleitet haben wie der an Krebs erkrankte Hoot oder das Ehepaar Otis und Mabel. Und am Ende ist es Lyle, der Skeptiker, der die Entscheidung trifft, seinen Enkel aus den Fängen der Sekte herauszuholen ...
Fazit: Die Geschichte entfaltet sich gemächlich und lässt Gläubige und Nicht-Gläubige aufeinandertreffen. Das führt zu interessanten Fragestellungen, die einem jedoch nicht das Gefühl geben, der Autor wolle einem etwas "überstülpen". Da die Geschichte zudem an eine wahre Begebenheit angelehnt ist, behandelt sie ein Thema, über da es sich definitiv nachzudenken lohnt.