Ungleiche Liebende

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theresia626 Avatar

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„Ein wildes Herz“ von Robert Goolrick beginnt ohne Prolog. Sam Haislett, der personale Erzähler, erinnert sich an die Zeit von vor 60 Jahren. Seine Erinnerungen sind lückenhaft, die Zeit hat die Dinge verändert, doch diese Geschichte ist eine wahre Geschichte und er erzählt sie, weil die Käufer eines Grundstückes in Brownsburg wissen müssen, daß man nicht auf einem Land leben kann „ohne es zu kennen, man kann nicht darauf gehen, ohne zu wissen, daß man nicht der Erste ist, der es betritt.“ (S. 344)

Die Geschichte beginnt 1948 in Brownsburg, Virginia. Charlie Beale, ein 39 Jahre alter, gut aussehender Kriegsveteran kommt von nirgendwoher in einem alten Pick-up in die Stadt. Neben ihm liegen zwei Koffer. In einem ist ein Satz rasierklingenscharfe Metzgermesser aus Deutschland, in dem anderen eine Menge Geld. Den Schlüssel für den Geldkoffer trägt Charlie um den Hals. Charlie ist von Beruf Metzger und bekommt eine Anstellung in der einzigen Metzgerei der Stadt, bei Will Haislett. Er freundet sich mit Will und Alma an und wird für deren fünfjährigen Sohn Sam wie ein zweiter Vater. Sam liebt Charlie über alles, er ist sein Held und wird es immer sein.

„… an einem Freitag Ende August des Jahres 1948, betrat eine Frau die Metzgerei, und das ist der Punkt, an dem die Geschichte einen anderen Verlauf nimmt und zu einer Legende wird, …“ (S. 42) Sie ist die Frau, die Charlie schon immer haben wollte, und er verliebt sich unsterblich in sie. Doch sie ist verheiratet, und zwar mit keinem Geringeren als dem widerlichen, fettleibigen, knallharten Geschäftsmann Harrisson Glass, genannt Boaty, dem reichsten Mann in Brownsburg. Boaty Glass hat trotz seines vielen Geldes keine Frau gefunden, die bereit war, ihn zu heiraten, und so begab er sich vor drei Jahren auf Einkaufstour. Für dreitausend Dollar und einen Traktor kaufte er die damals 17jährige Sylvan ihrem Vater wie ein Stück Vieh ab und kettete sie mit einem Vertrag zeitlebens an sich. Kurz nach der Hochzeit ging Boaty mit Sylvan ins Kino, der Eintritt war ein Vierteldollar, doch was er nicht wissen konnte, an diesem Abend verlor er seine Ehefrau an die Stars und Sternchen der Leinwand. Sie verfällt dem Kino mit Haut und Haaren und baut sich ihre eigene Phantasiewelt auf. Ihr Gang ist gestelzt, ihre Aussprache gekünstelt, sie wird zur Außenseiterin in der kleinen Gemeinde. Ihre Kleider, die sie von der schwarzen begnadeten Schneiderin Claudetta Wiley nähen läßt, sind denen der Hollywoodschönheiten nachempfunden.

Charlie beginnt mit Sylvan eine leidenschaftliche Affäre und benutzt den fünfjährigen Sam als Alibi. Das Kind muß die Treffen der Liebenden geheimhalten und darf niemandem, nicht einmal seinen Eltern, etwas darüber erzählen. Dadurch bringt er ihn in große seelische Schwierigkeiten. Charlie hingegen ist besessen von Sylvan, er liebt sie über alles, er begehrt sie, er muß und will sie besitzen und würde sogar für sie sterben. Er kauft ihr Tausende Hektar Land, möchte, daß sie sich von ihrem Mann trennt. Doch liebt Sylvan auch Charlie? Sie hat einen verklärten Blick und vermischt Fiktion und Realität, ihr Leben ist ein Hollywoodfilm, und Charlie ist ihr Star, aber wie real darf er in ihrem Leben werden?

Der Roman „Ein wildes“ Herz von Robert Goolrick überzeugt in seiner Gesamtheit, auch wenn einzelne Passagen von der Erzählweise her nicht plausibel erscheinen. So erzählt Sam seine Erinnerungen an die Zeit mit Charlie, doch wie kann er wissen, was in Boatys und Sylvans Hochzeitsnacht passiert ist? Auch bei den Szenen, in denen Sylvan mit der schwarzen Schneiderin allein in deren Haus ist und beide über neue Kleider und das Leben von Claudetta reden, war Sam niemals zugegen. Der Leser wartet außerdem vergebens auf Informationen aus Charlies Vergangenheit und woher er das ganze Geld hat, das er für Landkäufe ausgibt. Trotz allem hat Goolrick einen wunderbaren Hang zur Dramatik. „Ein wildes Herz“ ist ein Roman über Liebe, Lust und Sünde und eine tiefe Freundschaft. Das Cover des Romans, klassisch in schwarz/weiß gehalten, rundet den Eindruck hervorragend ab. Daß es kein Happy-End wie in einem Hollywoodfilm gibt, führt Robert Coolrick dem Leser gleich zu Beginn des Romans vor Augen. „Damals war das hier eine Stadt, in der niemals ein Verbrechen begangen worden war…“ (S.12) Mir hat das Buch sehr gut gefallen.