Auf der Suche nach dem gelobten Land

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern Leerer Stern
read'n'joy Avatar

Von

„Papa, glaubst du, das Kind wird sterben?“
„Nein, ich glaube, das war nur ein Versuch. Kann man es ihm verübeln? Er sehnt sich nach einer anderen Welt. Einer perfekten Welt. Daran leiden wir doch alle. Aber dann finden wir uns irgendwie zurecht. Auch Gregorio wird sich zurechtfinden. Bestimmt spürt er, dass wir hier draußen auf ihn warten und dass wir ihn lieben. Vielleicht reicht ihm das bereits, um zu beschließen, hierzubleiben.“

Ester lebt auf Sardinien. Nichts wünscht sie sich sehnlicher, als dass sie ihr Verlobter Raffaele von diesem steinigen Leben wegbringt. Doch kaum ist sie mit ihrem Mann in Genua und dann in Mailand, wünscht sie sich ihr altes Leben auf Sardinien zurück. Als sie nach vielen Jahren schließlich mit Raffaele und ihrer Tochter Felicita dorthin zurückkehrt, stellt sie fest, dass das Leben, das sie zunächst verabscheut und nach dem sie sich später jahrelang gesehnt hat, doch nicht das Wahre ist. Felicita dagegen fühlt sich überall wohl, wo das Schicksal sie hinführt. So lebt sie sowohl gerne in Mailand und dann auf Sardinien als auch in Cagliari, wo sie hinzieht, um dort mit ihrem unehelichen Sohn Gregorio zu leben. Gregorio wiederum, der mit der Zeit ein großes Talent im Klavierspielen entwickelt, zieht es nach New York, in die Stadt des Jazz, wo er sein persönliches Glück zu finden hofft.

Milena Agus legt uns mit „Eine fast perfekte Welt“ eine moderne Fabel dar, in der die Figuren auf einige wenige Merkmale reduziert werden und der Roman voller symbolischer Szenen ist. Ester, Raffaele, Felicita, Gregorio und einige weitere Figuren haben eine Gemeinsamkeit – sie suchen nach dem gelobten Land, ihrem eigenen, persönlichen gelobten Land. Während Ester beispielsweise zu den Personen gehört, die ihr ganzes Leben lang auf der Suche sind und nie dort, wo sie sich gerade befinden, glücklich sind, ist Felicita das genaue Gegenteil von ihr. Sie findet sich an jedem Ort, wo sie das Schicksal verschlägt, zurecht und findet zu persönlichem Glück. Felicita wird somit zur Verkünderin ermutigender Lebensweisheiten, von denen wir profitieren können, denn schließlich sind wir ja alle in gewisser Weise auf der Suche nach unserem eigenen gelobten Land. Einige sind an dem Ort, wo sie leben, und mit dem, was sie haben, vollkommen zufrieden; andere sind stets auf der Suche nach etwas Größerem, Schönerem, Optimalerem. Vielleicht ist das gelobte Land auch kein Dauerzustand, sondern äußert sich in den wenigen, flüchtigen Momenten unseres Lebens? In einer Berührung, einem Duft, einer Melodie?

Milena Agus' „Eine fast perfekte Welt“ kann nicht mit denselben Maßstäben wie ein Roman gemessen werden, denn die Geschichte ist wenig romanhaft. Eine richtige Handlung fehlt, die Figuren bleiben schemenhaft. Die Autorin wollte uns vielmehr ein Werk mit Symbolkraft darlegen. Zu den Figuren konnte man somit keine Verbindung aufbauen und einige der symbolhaften Versatzstücke und Geschichten haben sich mir in ihrer Aussage nicht erschlossen, weshalb ich nur drei Sterne vergebe. Alles in allem ist „Eine fast perfekte Welt“ aber ein lesenswerter Roman, der je nach gegenwärtiger Situation des Lesers wohl in seiner Wirkungsintensität stark variieren kann.