Auch wenn das Buch fünf Sterne verdient haben mag, ...

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elke seifried Avatar

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Selten ist mir eine Buchbewertung so schwer wie diese gefallen. Das schreckliche Schicksal, dass der Autor zu erleiden hat, den körperlichen Verfall so erleben zu müssen, stets den Tod vor Augen, allein schon die Tatsache, dass jemand den Mut dazu aufbringt, völlig fremden Menschen einen Einblick zu gewähren, müsste schon 5 Sterne verdienen und was das betrifft, ziehe ich auch wirklich meinen Hut vor Joe Hammond.

Schonungslos offen berichtet er in einigen Kapiteln des Buches von seinem Verfall, von seinen körperlichen Beschwerden von seiner Hilfsbedürftigkeit, wie er diese empfindet und auch Tabuthemen, wenn diese das auch nicht sein müssten, wie Toilettengang oder Berichte z.B. über seinen „schrumpfender Penis“ lässt er nicht außen vor. Diese Offenheit hat mich sehr beeindruckt und auch stellenweise wirklich tief betroffen gemacht. Vieles stelle ich mir unglaublich schrecklich vor. Richtig mitgenommen hat mich auch das Kapitel, „Wie Sterben sich wirklich anfühlt“.

Genau diese Berichte, sicher auch, solche von letzten gemeinsamen Erlebnissen mit seiner Familie und vielleicht auch von Vorbereitungen für das, was nach seinem Tod kommen wird, hatte ich mir aufgrund der Buchbeschreibung erwartet. Jedoch handeln weite Teile von seinen Erfahrungen in seiner Kindheit und Jugend. Auch wenn es ihm sicher ein Trost ist, dass so wie er Erinnerungen an seine Wegbegleiter hat, auch er bei diesen immer in den Gedanken verhaftet sein wird und daher nicht wirklich tot sein wird, bzw. immer ein Stückchen von ihm weiterleben wird, konnte ich mich dafür nicht so sehr begeistern. Zum einen mag das daran liegen, dass ich mit einem völlig anderen Inhalt gerechnet habe, zum anderen aber auch daran, dass ich hier Vieles so furchtbar negativ empfunden habe. Als Kind leidet er unter Zwist und Streit, dann auch unter der Trennung der Eltern, es wird von den skurrilen Affären seines Vaters berichtet, die ihm schlechte Erfahrungen eingebracht haben, von seiner Beziehungsunfähigkeit und von einigen verpassten Chancen. Nur äußerst selten wird von den schönen kraftgebenden Szenen mit seinen beiden Söhnen berichtet. Ich hätte dem Autor von Herzen gewünscht, dass er sich an solch schönen Dingen, die nur äußerst kurz gestreift werden, wie z.B. dass er für seinen Sohn immer Vater sein wird, auch wenn er inzwischen lallt, weil die Stimmbänder nicht mehr gehorchen, oder er nicht mehr die Kraft hat das Bett zu verlassen, etwas nach oben ziehen könnten. Ich hatte allerdings beim Lesen eher den Eindruck, dass er sich, vielleicht auch aufgrund seiner vielen negativen Erfahrungen im Leben, lieber den schlechten Fantasien und Ängsten hingibt. Das hat sich bei mir beim Lesen auch auf meine Stimmung geschlagen. Und auch damit hatte ich nicht gerechnet.

Aufgrund des Stils der ersten Seinen bin ich mit völlig falschen Erwartungen ans Lesen gegangen. „Ich bin ein großer Mann und so allmählich verursache ich einen ziemlichen Flurschaden.“, „…ein Sturz aus einem Meter neunzig Höhe dauert immer ganz schön lange.“, „Ich lag da, gestrandet und seifig auf dem weißen Fliesenboden“ oder auch „Meine Frau kam hereingestürmt wie eine Greenpeace-Aktivistin, die das Abschlachten von Seehunden verhindern will.“, sind Sätze, die man auf den ersten beiden Seiten finden kann. Mir war klar, dass möglicherweise mit Fortschreiten der Krankheit diese Art von, teilweise ja bitterbösem, Humor, der klar auch einen traurigeren Beigeschmack hat, abnehmen, und der pointierte, lockere Schreibstil sicher auch durch melancholische, tiefsinnige und niedergeschlagenen Phasen unterbrochen werden wird. Damit, dass aber schon nach wenigen Seiten solch hoffnungslose Betrachtungen wie, „Ich höre Gill nachts atmen und Jimmy in seinem Kinderbett schnaufen. Ich fühle mich nicht als ein Teil davon, nicht mal ein Teil dessen, was draußen in der Scheune oder auf der Wiese passiert“ eigentlich die überwiegenden sind, hatte ich nicht gerechnet. Auch konnte ich mir unter einigen seiner Vergleiche nicht wirklich etwas vorstellen, war mir auch nach mehrmaligem Lesen nicht immer klar, was mir der Autor hier beschreiben oder mich nachfühlen lassen will. „- auch mit das Ruhen und Erneuern, das Drehen und Bewegen. Die Art, wie ein Huf sich nach unten streckt, eine Pfote um die andere legt, eine Hand nach oben greift und den Mond zurückschiebt.“, ist, z.B. der den er der oben genannten Formulierung über das Gefühl des Ausgeschlossenseins nachschiebt. Viele andere machen kurz aufkeimende gute Gedanken sofort wieder wett, „Eine derartige Promiskuität ist unerlässlich, denn wo es Geister gibt, gibt es auch ein schlammiges Ufer, auf dem eine lange Reihe von Kröten hockt. Somit gibt es zwei Präsenzen im Leben: einerseits die Geister, die uns umgeben, und andererseits ihre Widersacher, die stinkenden, warzigen, behäbigen Kröten.“ Und das Negative überwiegt so deutlich, noch einige Zeilen weiter handelt es immer noch von „Manche Menschen mögen diese Präsenzen als ein Produkt dessen erklären, was von guten und schlechten Lebenserfahrungen zurückbleibt, aber das erklärt noch lange nicht den Gestank einer Kröte oder die ölige Sauerei, die sie zurücklässt.“

Alles in allem ziehe ich meinen Hut vor dem Joe Hammond, dass er so offen von seiner Krankheit, von seinem Verfall und seinem psychischen Leiden darunter, erzählt. Allerdings hatte ich mir von dem Buch etwas anderes erwartet und bin daher vielleicht auch selbstverschuldet enttäuscht. Für mich ganz persönlich sind es leider nicht mehr als drei Sterne, auch wenn der Autor für sein Buch vielleicht fünf verdienen würde.