Ein Abschied in Kapiteln

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romy_abroad Avatar

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Joe Hammond und seine Frau sind vor einigen Monaten von Großbritannien nach Portugal ausgewandert. Ihre beiden Söhne Tom und Jimmy (6 und 2 Jahre alt) gewöhnen sich gerade an das neue Leben, die neue Sprache und neue Freunde. Auch Gill und Joe knüpfen Kontakte und entdecken ihr neues Zuhause. Doch Joe verändert sich: Sein Gang wird schleppend, er beginnt zu stolpern, schließlich kommt es fast täglich zu schweren Stürzen, die er sich nicht erklären kann. Die Verletzungen sind mal kleiner, mal größer, seine Frau ist besorgt und seine Kinder verfallen in Panik, wenn sie ihren Vater mal wieder auf dem Boden vorfinden. Nach vielen Arztbesuchen und noch mehr Tests steht fest: Joe leidet an der Motoneuronen-Krankheit, wodurch die Motoneuronen in seinem Körper, die die Aktivtäten von Musekeln steuern, nach und nach vekümmern und absterben. Zunächst sind die äußeren Extremitäten betroffen. Bald braucht Joe einen Stock, später sitzt er im Rollstuhl. Irgendwann ist auch die Feinmotorik seiner Arme betroffen, das Sprechen fällt ihm schwer, am Ende werden auch die grundlegendsten Körperfunktionen zum Erliegen kommen. All das weiß Joe, sobald er sich mit seiner Diagnose auseinander setzt. Und er beginnt zu reflektieren und zu rechnen, plant wie lange er noch selbstbestimt leben kann, was er ändern möchte, und was sich ändern wird.

Doch anders als man es vielleicht erwarten könnte steht in seiner Erzählung nicht sein körperlicher Verfall im Vordergrund, sondern der Effekt seiner Krankheit auf seine Seele. Er beschreibt, wie sein Narzismuss weicht, keine Macht mehr über ihn hat. Wie er auch die kleinsten Momente mit Söhnen auskostet und sich ihre Zukunft in schillernden Farben und mit zahllosen Details ausmalt. Joe schreibt auch viel über seine Eltern, die positiven und negativen Einflüsse, die sie auf sein Leben hatten, und welches Geschenk Gill für ihn war. Auch die Zukunft der drei (Gill, Jimmy und Tom), die sich ohne ihn entwicklen wird, spielt für Joe eine große Rolle. Er beschreibt all diese Empfindungen und Vorgänge in einer sehr bildhaften Sprache, die reich an Metaphern ist, aber arm an Melancholie. Fast vergisst man beim Lesen, dass der Autor sein eigenes Ende unmittelbar vor Augen hat, und dass der Prozess des Schreiben für ihn ein Wettlauf gegen die Zeit ist, gegen sich verkürzende Sehnen, gegen Muskeln, die nutzlos werden und sich weigern, zu gehorchen.
Insgesamt ein berührendes Buch, das einen mit Dankbarkeit für die eigene Gesundheit erfüllt, aber auch Mitgefühl zulässt und nicht unnötig auf die Tränendrüse drückt.

Joe Hammond hat die Publikation seines Buches auf Deutsch im Februar 2020 nicht mehr erlebt. Er erlag am 30. November 2019 seiner Krankheit.