erschreckend

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rebstock Avatar

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"Eine kurze Geschichte vom Fallen" von Joe Hammond --- ein Buch, das mich wieder an meine Grenze als Rezensentin führt.
Ich hatte eine vorläufige, unkorrigierte Leseausgabe erhalten, und wurde nicht nur mit zahlreichen Druck- und Schreibfehlern konfrontiert, sondern auch mit sinnentleerten Übersetzungen.
Da der Autor nicht chronologisch dem Krankheitsverlauf entlang erzählt, sondern auch oft Ausflüge in Kindheit, Jugend und Vergangenheit macht, erschwerten diverse, nicht sinngebende Sätze das Verständnis des Textes enorm.
Zum Inhalt: Joe Hammond ist ein Mann, der nach schwerer Kindheit, Misshandlung durch Vernachlässigung der getrennten Eltern, einen sehr schweren Start ins Leben hatte. Ich bin keine Psychologin, aber diese sucht nach Einsamkeit, dieses selbstzerstörerische verhalten und auch die verbalen Aggressionen deuten doch auf einige Misstände hin.
Aber er schafft es über Umwege , gründet eine Familie und wandert mit ihr aus. Als es endlich so aussieht, als habe er seinen Platz gefunden, beginnen gesundheitliche Probleme. er fällt um, kann ein Bein nicht mehr richtig anheben und ist gehandicapt.
Die Ärzte vermuten vieles, und der Leser kann nur erahnen, wie viele Untersuchungen, Arztbesuche und Unsicherheiten die Familie in dieser Zeit befallen hat.
Aber letztendlich steht die Diagnose: Motoneuronen-Krankheit.
Es ist eine unheilbare, progressiv fortschreitende Erkrankung, die unweigerlich zum Tod führt.
Die Muskulatur wird nicht mehr mit den Nerven verbunden, bildet sich zurück und die Funktion geht verloren, und dies nicht nur in der Bewegungsmuskulatur, sondern überall am Körper.
Es ist ein ganz furchtbares Sterben auf Raten.
Nach der Leseprobe war ich sehr erstaunt, entsetzt und sprachlos, wie ein Mensch in dieser Situation mit so viel Komik über die Auswirkungen der gesundheitlichen Probleme schreiben kann. Und aus diesem Grund wollte ich dieses Buch lesen.
Dieser Eindruck hat sich sehr schnell relativiert.
Natürlich schreibt Joe Hammond auch darüber, was es bedeutet, wie er sich fühlt, wenn gewisse Dinge nicht mehr machbar sind. Dennoch gerät der Krankheitsverlauf in den Hintergrund als er beginnt, über seinen Lebenslauf zu schreiben.
Für mich war das Buch sehr wirr und wie so oft, hätte ich gerne eingegriffen, Fragen gestellt oder Hilfe angeboten.
Ich hätte ihn in gewissen Phasen gerne in Selbsthilfegruppen gesehen, ich hätte gerne so viel mehr getan, als nur zu lesen, wie schlecht es ihm geht. Und das kann man durch die lustigen Zeilen hindurch auf jeder Buchseite spüren, auch wenn der eigentliche Kummer nur am Rande erwähnt wird.
Nach der eigenen dramatischen Kindheit wollte er es mit der eigenen Familie richtig machen, für seine Kinder ein immer sorgender Daddy sein, verfügbar und schützend, jetzt kann er den kleinen Söhnen nur Geburtstagskarten für die Zukunft schreiben, wenn er nicht mehr da sein wird.
Das sind oft todtraurige Botschaften, lustig verpackt, aber mich persönlich haben andere Passagen viel mehr aufgewühlt.
Beispielsweise, dass er offenbar trotz Krankheit und eigener Familie noch immer völlig verzweifelt den Kontakt zu den eigenen Eltern sucht.
In meiner eigenen Laufbahn sagten mir Therapeuten, auch wenn ein Mensch vielfältig misshandelt wurde als Kind, von den Eltern, die auf jeder ebene versagt haben, so bin ich, und nur ich selbst, für mein weiteres Leben verantwortlich. Mit etwa Mitte 30 sollte man soweit sein, die wunden genügend geleckt zu haben und nach vorne zu blicken.
Ob es bei Joe Hammond durch die Erkrankung zu diesem "Rückschritt" kam, ob der Eindruck, den man als Leser erhält, durch das wirre Erzählen falsch ist, ich war oft mehr als entsetzt.
Tatsache ist, Eltern kann man nicht verändern, auch nicht mit der Konfrontation des eigenen Schicksals. Sie haben ihr eigenes Paket zu tragen. Ich muss es jetzt hier aussprechen: Wenn man einen Menschen fahrlässig getötet hat, das dann herabspielt und einen lächerlichen Vergleich zur Mutter, die ihren Vater verherrlicht, der abgehauen ist, zieht, dann habe ich schwer zu schlucken.
Es bleibt, wie es ist, vielleicht ist man , wenn man zur Unbeweglichkeit und zur völligen Hilflosigkeit verdammt ist, zu sehr mit den eigenen Gedanken beschäftigt und verrennt sich in Meinungen.
Ich persönlich nehme aus dem Buch mit, dass wir viel zu selten dankbar sind für viele kleine und große Dinge, die von uns unbemerkt passieren, weil wir einen gesunden, beweglichen Körper als völlig selbstverständlich nehmen. Und leider auch viel zu wenig pflegen und schätzen. Ich hoffe, ich werde mein Verhalten jetzt ändern.
Ich wünsche der Familie Hammond viel Kraft in jeder Hinsicht, für das, was kommen wird.