Risse in der Dorfidylle

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webervogel Avatar

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Die Angst geht um im britischen Dörfchen Heathcote. Ein Eindringling treibt sein Unwesen und bricht in die Häuser der Dorfbewohner ein; scheinbar wahllos und ohne Wertsachen zu entwenden. Das unsichtbare Phantom wird aufgrund seines lautlosen Umherschnüffelns bald als „Fox“ bezeichnet. Die Dorfbewohner sind sich uneins, wie gefährlich es ist. Das ändert sich jedoch schlagartig, als eine von ihnen verschwindet: Ausgerechnet die schüchterne, unscheinbare Anna hat es erwischt. Wieso gerade sie? Welches Motiv hat der Fox? Und wenn er ein Motiv hat und die zurückgezogen lebende Anna kannte – muss er dann nicht einer der Dorfbewohner sein?

Die Autorin Harriet Cummings entfaltet das Dorfpanorama wunderbar anschaulich vor dem geistigen Auge des Lesers. Im Laufe ihres Romans pickt sie vier Charaktere raus, deren Gedankengänge sie über einen gewissen Zeitraum schildert. Los geht es mit der Londonerin Deloris, die, obwohl erst 24-jährig, schon ein „Desperate Housewife“ ist: Den Teppichfabrikerben Harvey zu heiraten, war zwar eine gute Partie, aber nun sitzt sie in seinem Heimatdorf fest und muss feststellen, dass sie die Rolle der perfekten Hausfrau zu Tode langweilt. Anders ist es beim ebenso zugezogenen Gottesmann Jim; er predigt gern in der Dorfkirche, hat aber ein dunkles Geheimnis, das wie ein Damoklesschwert über ihm hängt. Nicht nur anhand dieser Beispiele macht Cummings deutlich: In Heathcote ist wenig so, wie es auf den ersten Blick scheint. Dabei kennen sich viele der Dorfbewohner schon ein Leben lang und haben feste Meinungen über ihre Nachbarn. Man ist gewohnt, über die ein oder andere Eigenheit hinwegzusehen, denn man kennt sich schließlich – oder? Abgründe tun sich auf, Verborgenes wird ans Licht gezerrt. Der Fox bringt das Dorfgefüge durcheinander, denn durch die Bedrohung positionieren sich die Bewohner neu. Bisher nicht benötigte Charaktereigenschaften treten zutage, einige wachsen über sich hinaus. Am Ende hat sich Heathcote verändert.

Auch wenn sich der Roman um die Frage dreht, wer der Fox ist, ist „Eine von uns“ kein Krimi. Mich hat relativ schnell eine vage Ahnung beschlichen, was es mit dem Fox auf sich haben könnte, aber das hat mich kaum gestört: Noch interessanter als die Identität des Phantoms sind die Reaktionen auf ihn, die ein jahrzehntelang gefestigtes Dorfgefüge in den Grundfesten erschüttern. Da bleibt kein Stein auf dem anderen – was hier und da sogar begrüßenswert ist … Unter dem Lack der Dorfidylle findet sich zwar keine Vorhölle, aber es lohnt sich trotzdem, an ihm zu kratzen – vor allem für den Leser, dem dieses Buch ein paar abwechslungsreiche Stunden beschert. Ein fesselndes Gesellschaftsportrait.