Sprachlich meisterhaft

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anman1 Avatar

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"Eine von uns" ist seltsam bedrückend. Der Roman lässt mich, trotz "Auflösung" am Ende, mit vielen Fragen zurück.

Der Roman beruht auf einer anscheinend wahren Geschichte und spielt in den 1980er Jahren in einem sehr kleinen Dorf in Südengland. Sie ist unterteilt in vier Abschnitte, jeder Teil aus der Sicht eines anderen Dorfbewohners chronologisch fortschreitend erzählt. In dem Dorf kommt es vermehrt zu Einbrüchen und seltsamen Vorkommnissen; Wertsachen werden jedoch nie entwendet. Das ganze Dorf ist vor allem wegen der verschwundenen Anna in Aufruhr und hält nach ihr Ausschau. Die Polizei im Ort ermittelt und versucht den Täter zu finden. Auch unter den Dorfbewohnern beschuldigen sich die Leute immer mehr. Insgesamt nimmt das Misstrauen immer weiter zu.

Was mir von Anfang aufgefallen ist, ist zum einen, dass Harriet Cummings es schafft, eine sehr mystische Atmosphäre zu kreieren, und zum anderen, dass ihr Schreibstil mich an Thomas Manns "Buddenbrooks" mit seinen langen und äußerst detaillierten Schilderungen erinnert.
Das letztgenannte wird gezielt eingesetzt. An anderen Stellen, wo es vor allem um Mystik und Spannung geht, ist der Schreibstil entsprechend anders; der Übergang ist aber fließend. Gerade im Wechsel der Schreibstil spiegelt sich der Wechsel der Atmosphäre.
Toll finde ich, dass auch die Alltagserfahrungen der Charaktere mit in den Roman einfließen, wodurch die bedrückenden Stellen wiederum an Bedeutung und Strahlkraft gewinnen. Dies fiel mir vor allem bei der Schilderung aus der Sicht von Deloris auf.
Zu loben ist auch, dass man durch die verschiedenen Blickwinkel das Geschehen sehr gut wahrnimmt und dass die Charaktere allesamt sehr authentisch sind.
Es bleibt aber trotzdem, auch nach der "Auflösung" am Ende, für mich schwer zu verstehen, warum das Ganze passieren musste oder passiert ist.
Bezüglich der Übersetzung musste ich gelegentlich holprige Sätze bzw. unpassende Wörter feststellen, was aber nicht weiter ins Gewicht fällt, obwohl es der Lesefluss doch etwas störte.

Zum Schluss muss ich noch ein weiteres Lob aussprechen: die stilistischen Mittel, die eingesetzt werden, sind teilweise sehr beeindruckend. Dies wird schon ganz zu Anfang deutlich (s. bereits S. 9: "... Silberbirken, deren Stämme blass wie Gebein in der Abenddämmerung.").
Teilweise wirkt der Roman aber auch wie ein Krimi.

So muss ich auch zu einem positiven Gesamtresümee kommen, auch wenn man sich beim Kauf dieses Buches bewusst sein sollte, dass man sich kein Witzebuch ausgesucht hat.
Die sprachliche Qualität, der Aufbau der Geschichte, die Authentizität der Charaktere und das Gesamtbild, das der Roman bei mir hinterlässt, lassen mir nur eine Möglichkeit, nämlich diesen Roman zu empfehlen. Klare Antworten sollte man aber nicht erwarten.