Eine Reise durch die Welt der Bücher - nicht ganz so persönlich wie erwartet

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viv29 Avatar

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Die Beschreibung des Buches hat mich als Literatur- und Antiquariats-Begeisterte gleich angesprochen. Mich reizte der sehr persönlichen Ansatz eines Menschen, der sein Leben den Büchern gewidmet hat und sicher Empfehlungen geben würde, die über das Übliche hinausgehen würden (was, soviel nehme ich vorweg, leider nicht der Fall war).

Der Einband des Buches ist ansprechend, erinnert ein wenig an eine nostalgische Tapete, ist schlicht und dadurch stilvoll. Auch der Titel ist gelungen.

Die Einführung von Willbrands Co-Autorin Daria Razumovych paßt hervorragend zu der persönlichen Perspektive und stellt den passionierten Antiquar und Leser Klaus Willbrand auf warmherzige, bildhafte Weise vor. Ich kannte ihn bisher nicht und las mit Genuss von der Freundschaft der beiden, das verbindende Element Buch und einer Art des Influencings, die sogar ich hervorragend finde. Eine ungewöhnliche, anrührende Geschichte, von Razumovych in angenehmem Stil verfasst.

Der Einführung folgt eine Mischung aus Willbrands Lebensgeschichte und seinen Leseempfehlungen. Die Lebensgeschichte ist in einem gut lesbaren Plauderton gehalten, man fühlt sich, als ob man sie in einem gemütlichen Gespräch erzählt bekommt. Das hat mir gefallen, auch die Erlebnisse selbst waren interessant. Davon hätten es ruhig noch mehr sein können – allerdings ist der Autor bedauerlicherweise während der Arbeit am Buch gestorben, vielleicht ist das eine Auswirkung davon.

Die Buchempfehlungen waren für mich leider eine gemischte Erfahrung. Zunächst einmal gehen sie nur in ganz seltenen Fällen über das hinaus, was man in so ziemlich jeder „Diese Bücher sollte man gelesen haben“-Auflistung findet. Ich hatte mir wesentlich mehr Originalität erwartet (und leider ist auch hier Walter Kempowski, einer der wichtigsten Roman-Chronisten des 20. Jahrhunderts, komplett ignoriert worden). Die Auswahl ist leider ziemlich einfallslos und ich habe hier so gut wie nichts Neues erfahren.

Auch inhaltlich überzeugten mich viele der Empfehlungen nicht. Ein stilistisches Ärgernis sind die Gendersternchen. Ganz abgesehen von der Leseunfreundlichkeit und der künstlichen, unschönen Wirkung auf die Sprache sowie der Tatsache, daß ein Großteil der Bevölkerung diese Konstruktion ablehnt, paßt es einfach nicht zu einem über 80jährigen Herrn. Ich habe mir extra einige der Videos angesehen, um herauszufinden, ob Klaus Willbrand vielleicht ungewöhnlicherweise ein passionierter Gendersternchenbenutzer war – nein, in den Videos spricht er ganz normal. Und so wirkt diese sprachliche Verballhornung außerdem oktroyiert oder zumindest unauthentisch.

Eine inhaltliche Enttäuschung war für mich die Formulierung vieler der Empfehlungen. Anstatt der ganz persönlichen Eindrücke Willbrands, einiger Anekdoten, seinem eigenen Blick gibt es in den meisten der Empfehlungen trockene Texte, die an Wikipedia erinnern. Lebensdaten, ein wenig Biographisches und Zusammenfassungen der wesentlichen Werke des jeweiligen Autors, so liest sich das meistens – und enttäuscht damit. Dann gibt es vereinzelt geradezu lieblos wirkende Texte, wie die gerade mal halbe Seite über Gabriele Wohmann – Zeilen, in denen absolut nichts auf diese Autorin neugierig macht oder dem Thema „Eine Einladung“ entspricht, denn da ist nichts Einladendes. Es war auch einer der Einträge, bei denen ich mich fragte, was Willbrand dazu bewogen hat, diese Empfehlung ins Buch aufzunehmen – oft hatte ich nämlich das Gefühl, der übliche Kanon würde einfach abgearbeitet, und genau das wollte dieses Buch doch nicht tun. Eine ausgezeichnete Idee war es dagegen, mit Fettdruck einige Zitate Willbrands über die jeweiligen Autoren hervorzuheben, das bot etwas von der persönlichen Note und fasste Autor und Werk treffend zusammen.

Neben diesen Texten gab es aber auch ganz herrliche Empfehlungen, die all das hatten, was ich mir eigentlich allgemein erwartet hatte. Der Eintrag über Proust ist z.B. so persönlich, so liebevoll und anerkennend, hat eigene Erlebnisse, daß es eine Freude war, diesen zu lesen. Auch z.B. im Eintrag über Joyce blitzt so viel Persönliches durch. Schade, daß diese passionierten, lebensnahen Empfehlungen in der Minderzahl sind, denn genau das wäre doch eigentlich die Trumpfkarte dieses Buches gewesen.

Das Buch endete mit einem erneut sehr persönlichen Nachwort Razumovychs, deren Schreibstil wieder zu erfreuen weiß. Man merkt die Zuneigung zu Willbrand und man erkennt, was für ein gutes Team die beiden waren. Die im persönlicheren Stil verfassten Beiträge Willbrands und allgemein der nahbare Stil Razumovychs lesen sich wundervoll und ich glaube, sie hätten noch viel bewirken können. So haben wir aber nun diesen Einblick, der zwar leider nicht in seiner Gesamtheit die erwartete persönliche Note hat, der aber dort, wo diese vorhanden ist, richtig Freude bereitet.