Die Liebe in den Zeiten des Krieges

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Riley Purefoy und Nadine Waveney begegnen sich 1907 als Kinder durch einen Zufall. Sie gehören unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten an - Nadine kommt aus reichem Elternhaus, Riley stammt aus einer Arbeiterfamilie. Dass sie sich anfreunden und später ineinander verlieben, ist wegen des starren Klassensystems im damaligen England eigentlich nicht vorgesehen. Zunächst einmal fördert Nadines Familie, zu der auch der Maler Sir Alfred gehört, den Jungen, der dem Maler Modell sitzt und kleine Arbeiten für ihn erledigt. Später lebt Riley bei Sir Alfred und bekommt die Chance, eine höhere Schulbildung zu erwerben. Sieben Jahre später unterbindet Mrs Waveney den Kontakt, da Riley kein akzeptabler Kandidat für die Hand ihrer Tochter ist. Enttäuscht meldet sich Riley als 18jähriger freiwillig zum Kriegsdienst, denn inzwischen ist der Erste Weltkrieg ausgebrochen. Nadine und Riley schreiben sich über Jahre, sehen sich einmal bei Rileys Heimaturlaub und werden ein Paar. Auch Nadine wird als Hilfskrankenschwester aktiv und sieht so, was die Soldaten erleben und mit welchen Verwundungen sie zurückkommen - von der Front kommen nur geschönte, positive Berichte. Nach drei Jahren Kriegsdienst wird Riley schwer verwundet. Da er verhindern will, dass Nadine aus Mitleid bei ihm bleibt, löst er unter einem Vorwand die Verlobung. Riley wird in einem englischen Militärlazarett von einem begnadeten Chirurgen mehrfach operiert, der sich auf die Rekonstruktion von zerstörten Gesichtern spezialisiert hat. Hier lernt Riley die überaus tüchtige Krankenschwester Rose Locke kennen, die Kusine seines Kommandeurs Peter Locke. Rose lebt in Lockes Haus bei ihrer Schwägerin Julia. Auf diese Weise werden zwei Handlungsstränge verknüpft, denn es gibt noch eine zweiter Liebesgeschichte, die des Paares Peter und Julia Locke, die ebenfalls stark vom Kriegsgeschehen beeinträchtigt wird, denn Peter Locke wird zum Alkoholiker und will nichts mehr von seiner schönen Frau Julia wissen.

Louisa Young beschreibt in ihrem überaus beeindruckenden Roman, wie sich die Menschen unter dem Einfluss des Krieges innerlich und äußerlich verändern. Da ist Riley, der psychisch und physisch gezeichnet zurückkehrt, Nadine, die als freiwillige Hilfsschwester auf einer Krankenstation, später an vorderster Front in Frankreich alles gesehen hat, Rose, die nicht schön genug ist, um eine gute Partie zu machen und als alte Jungfer behandelt wird, die dann aber aus ihrer Arbeit ein ganz neues Selbstwertgefühl schöpft, die sehr attraktive Julia Locke mit ihrem Schönheitswahn, die am Ende erkennen muss, dass alles, was ihr in ihrem privilegierten Leben wichtig war, absolut bedeutungslos ist und schließlich ihr Mann Peter Locke, der im Alkohol und bei Prostituierten seinen Schmerz betäubt.

Louisa Young zeigt den enormen Kontrast zwischen denen, die die Kriegsjahre zu Hause mit allem Komfort aussitzen und den anderen, die den Krieg mit all seinen Schrecken erleben. Young erspart dem Leser nicht die detaillierte Beschreibung der Schützengräbenerfahrung und der entsetzlichen Verwundungen der Soldaten. Genau erfahren wir, wie der Chirurg Gillies den Entstellten so etwas wie ein Gesicht zurückgibt und wie lang und qualvoll der Heilungsprozess sein kann. Sie beschreibt, welche verheerenden Folgen die verbotenen deutschen Gasangriffe haben und wie verlustreich dieser Krieg war, der als The Great War / La Grande Guerre in die Geschichte eingegangen ist. Der erwähnte Detailreichtum bedeutet auch, dass Young auf jegliche Glorifizierung des Krieges verzichtet. Auch die Soldaten sind nicht alle Helden. Es gibt diejenigen, die sich durch Selbstverstümmelung vor den Kampfhandlungen drücken wollen und andere, die damit Geschäfte machen. Viele sind tapfer und mutig, wollen ihrem Land dienen und den Kameraden helfen.Trotz der drastischen Details und der insgesamt sehr realistischen Darstellung lässt das Buch den Leser nicht deprimiert und ohne Hoffnung zurück, denn da gibt es noch die Liebe, die den Menschen die Kraft verleiht, das Grauen zu überleben und an die Zukunft zu glauben.

Der Erste Weltkrieg ist oft im Roman und im Film thematisiert worden. Mir fällt da sofort die großartige Regeneration-Trilogy der englischen Schriftstellerin Pat Barker ein (Niemandsland - Das Auge in der Tür - Die Straße der Geister). Barker berichtet: Wer es wagte, gegen das sinnlose Gemetzel zu protestieren, wurde als “Kriegszitterer” in die Nervenheilanstalt eingewiesen, mit Elektroschocks behandelt und dann wieder an die Front zurückgeschickt. Der Film La chambre des officiers (2001) von Francois Dupeyron nach dem gleichnamigen Roman von Marc Dugain (dt.: Die Offizierskammer) behandelt das Thema der schweren Gesichtsverletzungen im Ersten Weltkrieg. Die Betroffenen wurden wenig charmant “les gueules cassées” genannt - die mit der kaputten Fresse, und der Öffentlichkeit wurde ihr schockierender Anblick durch die Unterbringung an einem speziellen Ort erspart.

Die genannten Romane haben gemeinsam, dass sie den Krieg nicht verherrlichen, sondern in all seiner Grausamkeit realistisch darstellen, und damit sind sie auch ein Stück Anti-Kriegsliteratur. Das gilt auch für den Roman “Eins wollt ich dir noch sagen“, der nicht nur die Geschichte einer großen unzerstörbaren Liebe ist, sondern in gleichem Maße ein historischer Roman über eine fast hundert Jahre zurückliegende Epoche und ein Plädoyer gegen den Krieg.