Eins wollte ich noch sagen...

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joseyra Avatar

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Es gibt viele Dinge, die gesagt werden sollten, jedoch nie ihren Ausdruck in Worten finden. Viel zu oft erscheint etwas zu groß, zu gewaltig, als dass es die richtige Beschreibung für sie geben könnte. Das Gräuel des Krieges, die Eindrücke und Empfindungen, die bei den Menschen damals entstanden sein mögen, die Verzweiflung und die Todesangst, die sie durch litten haben, all das ist zu mächtig, um es auszusprechen.
Dennoch finden wir uns in Louisa Youngs Roman „Eins wollt ich dir noch sagen“ (im Original „My Dear I Wantedt to Tell You“) im Szenario des ersten Weltkrieges wieder.
Riley und Nadine kennen sich schon seit Kindertagen. Doch obwohl ihre Verbindung als nicht standesgemäß erachtet wird, verlieben sie sich ineinander. Der Krieg bricht aus und Riley meldet sich wegen eines Zwischenfalls freiwillig, um an der Front zu kämpfen. Dort stößt er auf das Grauen und die Abscheulichkeit des Krieges, die er nur durch eine innerliche Abstumpfung erträgt. Sein Kommandeur Peter Locke hingegen konsumiert Alkohol und wendet sich Prostituierten zu, um das Geschehen auszuhalten. Nadine widmet sich derweil der Arbeit als Krankenschwester, ebenso wie Peters Schwester Rose. Peters Frau Julia flieht sich dagegen aufgrund ihrer Unfähigkeit, irgendwie etwas Sinnvolles zum Krieg beizutragen, in einen Schönheitswahn.
Der rege Briefkontakt zwischen Riley und Nadine gibt den Liebenden Mut, bis Riley schwer verwundet wird und den Kontakt abrupt abbricht. Aber auch bei den Lockes gibt es Probleme, denn der Krieg hinterlässt nicht nur äußerlich seine Spuren.

Youngs Roman ist so viel mehr als nur ein Kriegs- oder Liebesroman. Vielmehr geht es um Leben und Tod, Überleben und sterben lassen, über Gut und Böse. Schließlich kommt noch das Thema der rekonstruktiven Medizin hinzu. In Anbetracht dessen und der Tatsache, dass hier nicht nur Riley und Nadine, sondern auch Peter, Rose und Julia ganz klar im Vordergrund stehen, wirkt der Klappentext aufgesetzt und falsch. Man erwartet einen Liebesroman vor dem Hintergrund des ersten Weltkrieges, aber was einem geboten wird, weist deutlich mehr Facetten auf.
Louisa Youngs Sprache ist dabei wunderbar bildhaft, fließend und feinfühlig. Allerdings kann ihre Perspektive nicht ganz überzeugen. Immer wieder verliert man den Bezug zu den Personen, weil oftmals einfach emotional wertvolle Momente aus der Sicht eines anderen Protagonisten geschildert werden. Wen interessiert es, was Rose denkt oder sieht, wenn Nadine weint? Dabei kann das Warum zwar geklärt sein, aber bei einem Menschen sind so viele Emotionen und Gedanken, die einem durch den Kopf gehen und diese Gedanken fehlen, um mit den Charakteren zu fühlen. Aus irgendeinem Grund scheint die Autorin die Gefühle, die wichtig und von Bedeutung sind, distanziert oder gar nicht auszudrücken, was nicht nur den Protagonisten, sondern gleich dem ganzen Buch Schaden zufügt.
Zu häufig wird auch der Eindruck erweckt, dass sie die vier Bücher, die sie zu ihrer Recherche gelesen hat, gleich alle in ihren Roman gesteckt hat, weil sie die Themen als faszinierend empfand. Lieber hätte sie sich einem einzelnen Hauptthema widmen sollen, als sich gleich einem ganzen Haufen zu zuwenden, zu denen selbst in zehn Büchern keine direkte Antwort gefunden werden könnte. Sicherlich kann man durch genaues Nachdenken eine Antwort ergründen, aber es fällt schwer, die ganzen Fragen, die Young aufgreift, zu fassen, weil die Konflikte nicht tiefgründig genug erfasst werden. Es wäre vollkommen erfüllend gewesen, zum Beispiel die  Definition von Gut und Böse während eines Krieges oder der Umgang mit einer schweren Verletzung im Gesicht zu behandeln. Stattdessen kommt alles zusammen, aber keines wird ausführlich und weitreichend erfasst.
Und gerade weil jene so komplizierte Probleme darstellen, wirken die Charaktere matt; der Zugang zu den Figuren wird weiterhin erschwert.
Was den Titel betrifft, erscheint dieser immerhin zutreffend, da es in dem Buch zahlreiche Dinge gibt, die sich die Protagonisten sagen müssten, aber nicht in Worten formuliert werden. Schade dabei ist allerdings, dass man die Gedanken und damit die dazugehörigen innerlichen Auseinandersetzungen nicht erfährt. Dadurch bleibt das Wissen um die Empfindungen der Protagonisten bei diesen Fehlkommunikationen leider nur oberflächlich.

Alles in allem bin ich der Überzeugung, dass dieses Buch einer guten Idee und vielen schönen Ansätzen entsprungen ist, diese aber nicht präzise umsetzen kann. Es fehlt einfach an kleinen Details, gewissen Perspektiven und Empfindungen, die die Themen und die Protagonisten den Leser näherbringen könnten. Dass die Klappentexte für dieses Buch falsch zugeschnitten sind, erhöht dabei das Problem des Lesers, sich in die Geschichte einzufinden, da dessen Erwartungen sich lediglich auf eine Romanze zwischen Riley und Nadine beschränken.
Ich würde das Buch nur Menschen empfehlen, die Ansätze und Anregungen zum Nachdenken suchen, sowie eine schöne Sprache zu schätzen wissen. Denn die Sprache der Autorin ist wirklich etwas, dass dieses Buch besonders macht.