Vom Rächer zum Ermittler

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buecherfan.wit Avatar

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In Raimon Webers Thriller “Eis bricht” erlebt ein Mann einen wahren Albtraum. Henning Saalbach ist ein erfolgreicher Autor, rundherum zufrieden mit seinem Leben. Er ist glücklich verheiratet und hat einen Sohn: Marc. Eines Abends wollen die Eltern ausgehen und lassen Marc allein zurück. Als Henning zurückkehrt, um vergessene Unterlagen zu holen, findet er seinen sterbenden Sohn und begegnet noch dem Täter, den er später erkennen wird. Erwin George wird gefasst und verurteilt. Allerdings kann er das Gericht von seiner Version eines fehlgeschlagenen Einbruchsversuchs überzeugen und wird nur zu 12 Jahren wegen Totschlags verurteilt. Der Leser weiß es an dieser Stelle schon besser: In einem Prolog hat er den Täter bei den Vorbereitungen zu einem lang zurückliegenden Mord erlebt und bekommt die ersten Hinweise, warum George zu dem Menschen wurde, der er ist.

Nach dem Tod des Sohnes und dem zu milden Urteil geht Hennings Leben den Bach runter. Seine Ehe zerbricht, er bringt kein einziges Wort mehr zu Papier und verfällt dem Alkohol. Nur ein Gedanke hält ihn am Leben: Er will Rache. Immer wieder steht er vor dem Gefängnis. Dort wird er von einem Beamten des Strafvollzugs angesprochen, der ihm deutlich macht, dass er auf seiner Seite steht und ihm helfen wird, wenn der Täter entlassen wird. Er macht ihn mit einigen gleichgesinnten Freunden bekannt, die ihm eine Waffe besorgen.

Dann passieren verschiedene Dinge, die Henning daran hindern, seinen Plan auszuführen. Er hat einen Unfall und findet die 12jährige Conni in seinem Auto, die ihn dringend um Hilfe bittet, weil sie die furchtbaren häuslichen Verhältnisse nicht mehr erträgt. Er lernt Franziska kennen, eine sympathische junge Frau, die beide rettet, als sie im Eis eines Sees eingebrochen sind, nachdem Hennings Rettungsversuch gescheitert ist.

All diese Ereignisse lenken Henning von seinem Vorhaben ab. Hinzukommt, dass er die (braune) Gesinnung seiner neuen Freunde erkennt und nicht mehr ihr Werkzeug bei einer spektakulären Aktion sein will, die zeigen soll, wie wahre Gerechtigkeit aussieht. Dann passiert ein weiterer Mord an einem Jungen mit einigen übereinstimmenden Merkmalen. Henning reist nach Döbeln in Sachsen, um Erwin Georges familiäres Umfeld und seine Vergangenheit zu erforschen. Unter einem Vorwand nimmt er Kontakt zu Rainer Kerner, dem Redakteur einer Lokalzeitung auf. Kerner hilft ihm bei den Recherchen und beide finden erstaunliche Fakten heraus, Verbindungen, die die Polizei nicht gesehen hat. Mit dem neuen Wissen kehrt Henning nach Unna zurück, wo es zum großen Showdown kommt.

Mir hat Webers Roman gut gefallen, vor allem die Tatsache, dass es nicht eine simple Geschichte von Rache und Selbstjustiz ist. Der Autor stellt überzeugend dar, wie das Verbrechen an Marc Hennings Leben zerstört und wie er zwölf Jahre später die Hinwendung zum Leben schafft, weil das Eis bricht - im wörtlichen und übertragenen Sinn und sogar im identischen Traum von Henning und Conni, wodurch sozusagen eine schicksalhafte Verbindung begründet wird. Ein sehr schöner Roman für Leser, denen es nicht auf eine reißerische Handlung ankommt.