Eine blasse Titelheldin

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nathi_taiwan Avatar

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Das Cover ist ein echter Hingucker. Auf dunklem Hintergrund sticht das elegante Profil der Elektra golden hervor. Umrahmt wird es von einem antik anmutenden Säulenmuster sowie von goldenen Efeuranken. Gleichzeitig wirkt es aber auch durch die Verwendung der Farbe pink für das Säulenmuster sowie für Elektras Ohrringe sehr modern und deutet auf eine (feministische) Neuinterpretation der bekannten mythologischen Figur hin. Den Vergleich zum Cover des englischsprachigen Originals verliert das deutsche Cover meiner Meinung jedoch. Das Gold in Kombination zum Kupfergrün sieht wunderschön aus. Außerdem gefallen mir die kleinen Details auf dem Cover, wie etwa der Dolch des Agamemnon sowie die trojanischen Pferde auf den Säulen. Das ist aber sicherlich Geschmackssache.

Nach der Lektüre des Buches muss ich leider sagen, dass ich den Titel eher unglücklich gewählt finde. Denn Elektra ist keineswegs die alleinige Hauptfigur des Romans. Es geht um die Schicksale dreier Frauen: Elektra, Klytämnestra und Kassandra. Klytämnestra ist die Ehefrau des Königs Agamemnon und die Schwester der berühmten Helena von Troja. Elektra ist aus der Ehe zwischen Klytämnestra und Agamemnon hervorgegangen. Auf trojanischer Seite steht Kassandra, Prinzessin von Troja und Priesterin des Appoll. Der Roman erzählt vom Beginn, Verlauf und Ausgang des zehn Jahre andauernden griechisch-trojanischen Krieges vor den Toren Trojas. Er stellt dabei jedoch nicht die Heldentaten der Männer und der Armeen in den Vordergrund, sondern betrachtet stattdessen das Leben und das Schicksal der Frauen, die einerseits versuchen ihr Leben selbstbestimmt zu führen, andererseits jedoch unentrinnbar der Macht und den Launen von Männern und Göttern ausgeliefert sind.

Die Figur der Elektra bleibt die ersten drei Viertel des Romans ziemlich blass, eher einer Randfigur gleichend. Klytämnestra füllt den Raum stark aus, ihr Innenleben wird unheimlich gut geschildert, sodass ich stark mit ihr mitgefühlt habe - was wiederum dazu führte, dass ich Elektras Gedanken kaum nachvollziehen konnte. Diesen Konflikt konnte die Autorin meines Erachtens leider nicht gelungen auflösen. Erst im letzten Viertel des Buches nimmt dann schließlich Elektra ihre namensgebende Titelrolle ein. Auch Kassandras Perspektive ist entscheidend für diesen Roman, zeigt sie doch, dass es sich um einen Krieg der Männer handelt, der für die Frauen nur Verlust bedeutet.

Es wurde im Vorfeld damit geworben, dass dieser Roman eine Neuinterpretation der weiblichen Figuren der griechischen Mythologie darstellen soll. Stattdessen handelt es sich für mich eher um eine Nacherzählung aus der Perspektive der Frauen, aber definitiv nicht um eine feministische oder kritische Neuinterpretation der Handlungen und Perspektiven der Frauen - sehr schade! Seit Madeline Millers "Das Lied des Achill" gibt es ja ein regelrechtes Comeback, was solche "Neuinterpretationen" betrifft. Dieses Buch konnte meine Erwartungen leider nicht erfüllen.