Weniger mitreißend als erhofft

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lui_ Avatar

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Das Cover sieht wundervoll aus. Es ist ein gelungener Eyecatcher und noch dazu ein echtes Schmuckstück für jedes Mythologie-Bücherregal.
Zum Inhalt: Elektra wartet auf die Rückkehr ihres Vaters Agamemnon aus dem trojanischen Krieg. Auch ihre Mutter Klytämnestra erwartet ihren Mann - allerdings aus ganz anderen Motiven. Kassandra, trojanische Prinzessin, Priesterin des Apollon und Kriegsbeute des Agamemnon, bietet eine dritte Perspektive. Können die drei Frauen ihre Schicksalsfäden selbst in die Hand nehmen? Und was, wenn sie dabei die Götter herausfordern?
Die Geschichte ließ sich flüssig lesen. Die wechselnden Erzählperspektiven sind natürlich anspruchsvoll und erfordern Mitdenken und etwas Konzentration.
Der Einstieg war für mich reichlich trocken und fiel mir daher schwer. Das mag daran liegen, dass die erste Hälfte des Buchs für mich wenig Neues enthielt. Es ging hauptsächlich um den wohlbekannten Mythos rund um die Belagerung und Eroberung Trojas. Zudem hat der Gedanke an eine feministische Perspektive auf den Mythos gewisse Erwartungen geschürt, die dann nicht eingehalten werden konnten. Das lag für mich vor allem daran, dass mir der emotionale Zugang zu den Charakteren besonders in der ersten Hälfte fast völlig gefehlt hat. Mit der titelgebenden Elektra bin ich bis zum Schluss einfach nicht warm geworden. Ihre Befangenheit und kindliche Sturheit ohne jeden Ansatz einer Entwicklung machten ihre Abschnitte für mich zur Qual.
Die zweite Hälfte begann dann unverhofft besser. Ein spannendes Katz-und-Maus-Spiel und faszinierendere Handlungsstränge konnten mich endlich fesseln. Aber auch hier gilt: Berühren konnte mich höchstens Klytämnestras Perspektive - und das, obwohl auch sie mir theoretisch reichlich unsympathisch war. Ganz nett war Kassandras Perspektive - definitiv war es toll zu sehen, dass sie eine Stimme verliehen bekam.
Größter Pluspunkt war für mich die düstere, unheilvolle Atmosphäre, die die Essenz der griechischen Mythologie so grandios einzufangen vermochte. Logischerweise wirkt die Handlung dadurch aber auch reichlich bedrückend. Zu zartbesaitet sollte man definitiv auch nicht sein, aber das ist ja nichts Neues bei antiker Mythologie.
Insgesamt wurde ich solide unterhalten und blieb mit enttäuschten Erwartungen zurück. Trotzdem würde ich die Geschichte Fans griechischer Mythologie mit potenziell weniger Vorwissen zum trojanischen Krieg und allen mit Interesse an einer feministischen Erzählweise des bekannten Mythos und modernen Neuerzählungen empfehlen.