Wir bringen Eliza nach San Francisco

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elke seifried Avatar

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Die 23-jährige Harlow hat eben ihr Studium beendet und geplant war eigentlich ein Umzug wegen eines Praktikums, als sie der schwere Schlaganfall ihrer Großmutter völlig aus der Bahn wirft. War die lebenslustige Eliza immer ihr Rettungsanker, ihre Heldin, ihr großes Vorbild, ist jetzt klar: Die „Tage als geländesichere Allround-Oma waren definitiv gezählt“, sie wird nie mehr die alte sein. Eliza, der der lehrbuchmäßige Lebenslauf ihrer Enkelin immer etwas gegen den Strich ging, wünscht sich sehnlichst, dass diese doch ein paar Jahre der Jugend auch der Unvernunft widmet, bevor die Chance vertan ist. Die Gelegenheit ist gekommen, als Harlow zufällig auf Elizas alte Bucket List stößt, bei der bisher nur fünf von 34 Aufgaben erledigt sind. „Wenn du keine eigenen Träume hast, dann nimm meine.“ Mit diesen Worten bittet Eliza ihre Enkelin, sie nicht sterben zu lassen, bevor alles auf der Liste ausgestrichen ist. Der Zwiespalt ist riesig, ihrer Oma den letzten Wunsch erfüllen, oder lieber doch nicht so weit weggehen, falls es ihr schlechter geht? Doch wenig später sitzt Harlow im Flieger nach Seattle. „Dies war das zweifelsfrei Dämlichste, was ich je in meinem Leben getan habe“, wird sie diesen Gedanken auch am Ende ihrer Reise noch haben?

Man darf in diesem Roman auf einen witzigen, turbulenten und abwechslungsreichen Roadtrip durch die USA gehen, beginnend in Seattle bis hin zur Golden Gate Bridge in San Francisco. Auf dieser Reise „arbeitet“ sich Harlow, gemeinsam mit Jesse durch die verbleibenden 29 Aufgaben der Bucket List von Großmutter Eliza. Küsse einen Matrosen, Tanze auf der Theke, sind nur zwei der schwierigen Aufgaben für die zurückhaltende Harlow. Wer wissen will wie „Frühstück bei Tiffany in der arme Schlucker Version“ aussieht, oder wie der Punkt „Rette ein Leben“ bzw. „Zeige Frau Weiß deinen Hintern“, als erledigt angesehen werden können, muss selbst lesen.

Richtig gut hat mir auch die Romanze zwischen Harlow und Jesse gefallen. Ich bin eigentlich kein Leser von Liebesgeschichten, aber diese hier ist mir so richtig ans Herz gegangen, gefühlvoll, aber an keiner Stelle kitschig. Spritzige Dialoge, zwei völlig unterschiedliche Charaktere und ein offenes Ende haben mich ans Buch gefesselt. Jesses „Du hast schätzungsweise acht Jahre an den Weihnachtsmann geglaubt,... Da wirst du doch wohl in der Lage sein, für zehn Minuten an dich selbst zu glauben.“ ist nur einer von wenigen Sprüchen, mit denen Jesse Harlow stets beiseite stand und auf tolle Art und Weise Mut zugesprochen hat.

Tief berührt hat mich die ganz besondere Beziehung zwischen Oma und Enkelin, die man in Rückblenden von Krankenhausbesuchen, Erinnerungen aus Harlows Kindheit und Telefongesprächen während der Reise erfährt. „Harlows Worte „Sie ist eine so beeindruckende Persönlichkeit und sie hat all ihre Träume aufgegeben, um dem langweiligsten Menschen der Welt beim Aufwachsen zuzusehen.“ sagen wohl alles. Auch die eine oder andere von Elizas Lebensweisheiten wie „Riskier was! Hör auf zu planen. Lass das Leben entscheiden.“, nehme ich sicher aus diesem Roman für mich mit.

Der Sprachstil liest sich locker, leicht und ich bin regelrecht durch die Seiten geflogen. Gut haben mir ihre zahlreichen sprachlichen Bilder, wie „Fraß sich in meine Eingeweide wie ein wütendes Untier“, gefallen. Der Autorin nimmt den Leser damit mit auf eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Ich konnte mich prima in Harlow hineinversetzen, ihre Unsicherheit im Bauch beim Flug nach Seattle, es wäre mir kein bisschen anders gegangen, vielleicht auch, weil ich ebenso wie die Darstellerin eher meine Routine und alles geplant brauche. Auch mein Vater war lange krank und mir ging es ganz genauso, ich wollte nicht in den Urlaub, er hätte ja ohne mich sterben können. Deshalb haben mich auch Harlows Gedanken, Befürchtungen und Schuldgefühle sehr betroffen gemacht. Auch die Lebensgeschichte von Eliza, die ans Tageslicht kommt, hat mich öfters schwer schlucken lassen. Trotz der ernsten Situation gibt es viele Szenen, bei denen man herzhaft lachen und schmunzeln, oder sich einfach nur so richtig mit und für Harlow freuen kann.

Die durchwegs alle überzeugend authentisch dargestellten Hauptdarsteller in diesem Roman sind mir so richtig ans Herz gewachsen. Die durchorganisierte, vielleicht auch von außen betrachtet eher langweilige, Harlow ist mir sehr ähnlich. Deshalb konnte ich ihren Part mitsamt Gefühlen wie Angst, Unsicherheit und Freude so richtig miterleben. Gefühle, die einen verletzen können, am besten nicht zulassen, es immer allen recht machen wollen und sich selbst und das Leben hinten anstellen. Schwer beeindruckt hat mich Großmutter Eliza. Eine lebenslustigere und bessere Oma wie sie kann man sich wohl gar nicht wünschen. Wenn man die Einstellung der beiden vergleicht, könnte man fast meinen, Eliza muss die Junge, Harlow die Oma sein. Von Anfang an gut hat mir auch Jesse, der Straßenkünstler, der sich mit Gelegenheitsjobs durchs Leben schlängelt, gefallen. Auch wenn er anfänglich einen sorglosen Eindruck macht, steckt in ihm viel mehr und Harlow kann sich glücklich schätzen, ihn kennengelernt haben zu dürfen.

Alles in allem hatte ich tolle Unterhaltung bei diesem gefühlvollen, witzig spritzigen Roman, der nicht nur einen verrückten Roadtrip durch die USA, sondern auch eine Reise zum eigenen Ich beschreibt und vergebe deshalb gerne noch 5 Sterne.