Elli: alles andere als angestaubt

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Das Cover lässt vermuten, dass Elli das Klischee einer Omi, die sonntags Gugelhupf für ihre Familie backt und sich unter der Woche zum Kaffeekränzchen mit anderen Omis trifft. Weit gefehlt! Elli ist anders. Und erst recht ihre Schwester, die sich hinter dem aufklappbaren Cover zu verstecken scheint. Die ist nämlich eine schlanke, hochgewachsene berufstätige Journalistin mit roten Haaren. Man sollte sich also vom Cover nicht verschrecken lassen. Es steckt nämlich kein angestaubter, netter Roman über ältere Damen dahinter.

Ganz im Gegenteil: Elli gerät in eine Achterbahn der Gefühle: Nostalgiewehmut, Existenzangst, Abenteuerlust, Liebe, Flirt, Hoffnung, Enttäuschung … - das komplette Programm. Was da passiert? Nun, Elli führt eine Videothek. Vor dieser hatte sie mit ihrem Mann Josef ein Kino und ein Leben im Glamour mit Reisen, wohin die Filmwelt einen zog. Gerne denkt sie an diese Zeit zurück, besonders dann, wenn es in der Videothek sehr ruhig ist. Wie es im Leben so kommt, kommt auch bei ihr alles das, was man nicht gebrauchen kann, auf einmal: Ihr Zubrot – die wöchentlichen Filmvorführungen im Seniorenheim – wird gestrichen, das Finanzamt drängelt auf Zahlung, die Bank schließt sich an und ihre beste Freundin Frieda eröffnet ihr, dass sie zu ihrer Tochter nach Frankfurt ziehen wird. Dunkler kann Ellis Tag nicht werden. Dann entdeckt sie in ihrer Post einen sonnig-gelben Briefumschlag. Aus Italien. Genauer: von Capri. Dort hat sie viele Sommer ihrer Kindheit verbracht. Ist dieser Umschlag der erste Schritt aufwärts? Fabrizio, ein Freund aus Kindertagen, schreibt ihr von einer Erbschaft, die sie gemacht habe oder vielmehr machen wird. Elli muss nicht lange überlegen. Sie kratzt zusammen, was es zusammenzukratzen gibt und macht sich mit ihrem klapprigen, aber bisher zuverlässigen Käfer auf den Weg nach Capri. Das Abenteuer beginnt.

Unterwegs begegnet sie Heinz mit seinem Hund Oskar. Letzteren schließt sie sofort in ihr Herz, ersteren kann sie zunächst nicht ausstehen. Heinz tingelt seit geraumer Zeit mit seinem Wohnmobil durch die Weltgeschichte und nimmt sie kurzerhand mit nach Neapel, als Ellis Käfer mitten in Italien den Löffel abgibt. Sie haben viel Zeit für Gespräche und Elli muss feststellen, dass Heinz doch nicht so furchtbar ist, wie sie zuerst dachte. Eigentlich findet sie ihn recht interessant.

Auf der Fähre nach Capri stößt Elli auf ihre Schwester Dorothea. Ausgerechnet! Die Schwestern stehen seit Jahr und Tag auf rivalisierendem Kriegsfuß. Dorothea ist ebenso wenig angetan von ihrer Begegnung wie Elli. Doch, wenn die eine Schwester erbt, trifft dies natürlich auch auf die andere zu. So heißt es, dies gemeinsam über die Bühne zu bringen. Was auch immer es ist.

Das erfahren sie von Fabrizio, den sie im Hotel treffen werden. Die Verwicklungen nehmen ihren Lauf: Sommer, Sonne, ein flirtender Italiener, ein eifersüchtiger Weltenbummler, weitere Familienmitglieder, die ihr eigenes Quäntchen von Liebe, Eifersucht und Drama hinzufügen und … man darf es wohl verraten, weil es sich jeder denken kann: natürlich ein Happy End.

So viel zum Inhalt, nun geht es zur Umsetzung. „Elli gibt den Löffel ab“ ist durchweg amüsant, spritzig, manchmal chaotisch, aber durchaus liebenswert. Gestört haben mich stellenweise die laufenden Perspektivwechsel. Alle paar Seiten „erzählt“ eine andere Figur. Dies ist zwar hauptsächlich gelungen, aber manchmal – so empfand ich es – eben auch nicht. Die Erkenntnis nach einigen Zeilen, dass jetzt nicht derjenige „spricht“, von dem man es dachte, dass er es tut, ließ meinen Lesefluss doch etwas stocken. Aber man soll als Leser ja auch mal gefordert werden, so dass unterm Strich Tessa Hennigs Geschichte über Elli, Dorothea, Anja, Fabrizio, Heinz, Oskar, Roberto, Paolo … ein Lesevergnügen war. Sie zeigt uns, dass man nicht Mitte dreißig und in einer Lebenskrise stecken muss, um den Mann fürs Leben und einen Neuanfang zu finden. Dies geht auch mit sechzig und ist doch viel spannender, oder?