Toll geschriebener Familienroman

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fahrcks Avatar

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„Elternhaus“ ist toll geschrieben, die klare Sprache ermöglicht einen angenehmen Lesefluss. Trotz fehlender klassischer Kapiteleinteilungen ist das Buch gut in einzelne, nicht zu lange Abschnitte gegliedert.

Das zentrale Thema des Romans dreht sich um die Herausforderungen und Schwierigkeiten bei der Umkehr der Fürsorge-Rollen zwischen Eltern und Kindern. Dieser Konflikt ist in den meisten Familien früher oder später ein Thema und sollte doch gerne besser kommuniziert werden, als es in der vorliegenden Geschichte der Fall ist.

Erzählt wird die Geschichte dreier Schwestern in vielen einzelnen Rückblenden, wobei nur zwei von ihnen als Erzählstimmen zu Wort kommen. Durch dieses interessante Stilmittel erleben die Leser*innen die jüngste der drei Schwestern eher als Sidekick oder Bindeglied zwischen den Parteien, ohne eigene Perspektive, ebenso wie die Eltern, die lediglich aus der Sicht der beiden Erzählstimmen an der Geschichte teilhaben, ohne aktiv eine Rolle zu spielen.
Der Wechsel zwischen Gegenwart und Rückblenden kann gelegentlich etwas verwirrend sein, da nicht immer gleich klar ist, zu welchem Zeitpunkt der Geschichte man sich gerade befindet. Dennoch wird das Geschehen interessant und abwechslungsreich erzählt. Die unterschiedlichen Erinnerungen und Einschätzungen der Charaktere sind interessant zu beobachten, da Situationen aus der Kindheit von den zwei Schwestern zum Teil gravierend unterschiedlich wahrgenommen wurden.
Die Hauptfiguren Sanne und Petra erscheinen teilweise leicht überzeichnet, wirken in einzelnen Situationen nahezu hysterisch und nicht immer ganz zurechnungsfähig. Es wird in unpassenden Situationen geschrien und wenig geredet, die Figuren scheinen sich oft übermäßig fremd zu sein und sie bleiben in vielen Situationen sprachlos statt Konflikte und Probleme einfach anzusprechen. Besonders auffällig ist dies innerhalb der äußerlich intakten Familie von Sanne. Obwohl einige Verhaltensweisen für die Leser nachvollziehbar sind, bleibt das Verhalten der beiden Schwestern manchmal durchaus herausfordernd.
Durch die Beschränkung der Erzählstimmen auf die beiden Schwestern bleiben einige zentrale Figuren leider eher blass - etwa die der Eltern, deren Umzug die Konflikte erst heraufbeschwört. Zum Ende hin wird die bisher grundsätzlich überzeugende und spannende Geschichte etwas flach und ganz am Ende auch leider etwas enttäuschend.

Das Cover finde ich sehr gelungen, es passt mit seinem „Retrostil“ sehr gut zum Inhalt, vor allem zum Anfang als noch einige Szenen im etwas altbacken eingerichteten Elternhaus spielen, kann man sich gut genau solch eine Tasse auf dem Kaffeetisch vorstellen.

Die Überforderung der Eltern oder Großeltern im Eigenheim und die Unsicherheit darüber, ob und wie man sich als Angehörige angemessen einmischen kann, sind Probleme, die sicherlich viele Leser*innen nachvollziehen können. Auch die Entfremdung von Geschwistern ist ein oft schwieriges und schmerzhaftes Thema, das in diesem Buch eindrücklich dargestellt wird. Insgesamt trotz einiger Schwächen ein überzeugender und empfehlenswerter Roman.