Heikle Wahrheiten

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In seinem Zimmer im zweiten Stock einer Bettenburg in der britischen Kronkolonie Gibraltar lief ein schlanke Mann Ende fünfzig nervös auf und ab. Seine sympathisch-rechtschaffenden Züge verrieten nicht nur den Engländer, sie verrieten auch ein erregbares Naturell.“

Da ist er wieder, der typische Einstieg in einen der Romane Le Carrés. Dieser typische, distinguierte englische Ton. Und, um es vorweg zu nehmen, mit "Empfindliche Wahrheit" trifft er nicht nur diesen Ton, sondern er schafft nach längerer Zeit wieder ein Meisterwerk.

Der Roman spielt zu Zeiten des New Labour, sprich Tony Blairs Regierungszeit. Der pensionierte Regierungsmitarbeiter Christopher Probyn bekommt Besuch von dem ehemaligen Soldaten Jeb. Drei Jahre zuvor waren die beiden in einen Geheimdiensteinsatz in Gibraltar verwickelt. Probyn als Regierungsbeobachter, Jeb als Einsatzleiter. Ein islamistischer Terrorist sollte festgesetzt werden. Probyn hat damals vom Einsatz selbst nicht viel mitbekommen, der Erfolg desselben ihm nur mitgeteilt, er auf einen lukrativen Posten mit anschließender Erhebung in den Adelsstand versetzt. Nun erfährt er, dass der Einsatz damals völlig in den Sand gesetzt wurde, keine Terrorist gefunden, dafür eine Zivilistin und ihr Kind erschossen wurden. Jeb leidet seitdem unter großen psychischen Problemen, die beteiligten Stellen haben die ganze Sache, inklusive Beteiligung der Amerikaner und privater "Militärdienstleister" unter den Teppich gekehrt. Nun wollen Probyn und Jeb die Sache öffentlich machen, aber Jeb verschwindet... Probyn bittet den damaligen Referenten des zuständigen Ministers, Toby Bell um Hilfe. Doch damit begeben sich alle in Gefahr...

Le Carré versteht es meisterhaft und souverän, den verwickelten Plot spannend und nachvollziehbar zu entrollen. Der Roman ist perfekt gebaut und die Charaktere plastisch geschildert. Zudem beweist der Autor ein enormes Gespür für Themen. Immerhin war der Roman bereits fertig, bevor das Thema "Whistleblower" mit Snowdon so richtig brisant wurde. Als Leser ist man heute direkt verschreckt, wenn die Akteure ihr Wissen an Regierungsstellen weitergeben wollen. "Halt, vertraut denen nicht", möchte man rufen. So misstrauisch ist der Bürger in der Nach-Snowdon und NSA-Zeit. Und was diesen aufrechten "Whistleblowern" nach ihrer Entdeckung blüht, auch davon haben wir eine Ahnung. Der Roman lässt dies auf angenehme Art zum Schluss offen.

Le Carré war und ist ein großer Moralist. Dass er diese finsteren Machenschaften, diese Verstrickungen von Finanz, Politik und geldgierigen "Militärdienstleistern" in einen so packenden und intelligenten, dabei aber immer ironisch gefärbten, eleganten Roman verwandeln kann, ist große Kunst.