Klamauk unter der britischen Krone

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marapaya Avatar

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So bitterböse und zynisch der neue Carré auch anfängt – zwischendurch verliert sich mitunter der rote, böse Faden und weicht überspitzten britischem Humor, sehr zur Freude des Lesers, dem doch auch einiges abverlangt wird, um in den unterschiedlichen Zeitsprüngen den Überblick über die Handlung nicht zu verlieren. Diese welche ist an sich gar nicht arg kompliziert. Das britische Auswärtige Amt plant eine geheime Aktion in der Kolonie Gibraltar mit eigenen Leuten und einer amerikanischen Söldnertruppe, eine Zielperson soll dingfest gemacht werden, viel Geld wird fließen und ein älterer Diplomat soll vor Ort als rotes Telefon zwischen Einsatztruppe und Ministerium fungieren. Über den Ausgang der Operation Wildlife herrscht allerdings später Uneinigkeit. Offiziell kam niemand zu schaden, inoffiziell werden von einem ehemaligen britischen Soldaten daran Zweifel gesät und ernste Vorwürfe erhoben. Für Sir Christopher Probyn schien die Operation ausgestanden, doch drei Jahre später wird er mit den blutigen Zweifeln konfrontiert und kann sich nun seines Lebensabends als frisch ernannter Sir wenig erfreuen. Probyn will die Operation Wildlife aufklären und sucht bei Toby Bell Hilfe. Bell war persönlicher Referent des damaligen Ministers, Probyn will nicht glauben, dass Bell keine Ahnung von Operation Wildlife hat und hat sich instinktiv wohl genau den richtigen Mann für seine Spurensuche ausgesucht.
Der Einstieg in Carrés neuen Roman gestaltet sich schwierig. Die Handlung beginnt mit einem britischen Beamten mit Deckname Paul. Von einem geheimen Einsatz wird berichtet, der irgendwie nach Slapstick klingt und wenig zu den steifen, korrekten Briten passen will. Alles scheint gut gegangen, doch ganz überzeugt ist Paul und damit auch der Leser nicht. Die Szene wechselt, Tobey Bell kommt ins Spiel, zeitlich um einige Tage oder Wochen vor den Einsatz gesetzt. Ein schneller Abriss zur Figur und ihrem diplomatischen Werdegang folgt, irgendwie ist nun die Zeit verloren gegangen – wann war Bell in Berlin unter Giles Oakley? Unter wem dient er jetzt, Fergus Quinn? Warum ist er so interessiert an Jay Crispin und Ethical Outcomes? Die Verwirrung steigert sich als Paul alias Sir Christopher Probyn wieder zurück in die Handlung kehrt und Operation Wildlife nach drei Jahren zurück ins Foreign Office wandert. Auf fast 400 Seiten streckt Carré seine eigentlich einfache Geschichte, in der es allein um die fragwürdige Operation Wildlife und deren Hintergründe zu gehen scheint. Der Stoff mag brisant sein und aufdecken wollen, dass Korruption und Korrumpierung bis in die obersten politischen Reihen reicht. Doch neu ist dieses Thema nicht und damit verliert die vermeintliche Brisanz doch erheblich an Fahrt.
Die Figur des Tobey Bell ist interessant und recht ambivalent gestaltet. Über lange Strecken aber habe ich mich gefragt, welche Motivation ihn wohl eigentlich leitet, erst auf den letzten Seiten konnte ich mir darüber einigermaßen klar werden. Witzig und verschroben werden Sir Christopher und seine Familie dargestellt. Das Seelenheil seiner Frau hängt allein von der Wahrheit ab, nichts anderes zählt mehr, nachdem die ersten Zweifel gesät wurden. Am Ende ist alles eben doch recht plakativ. Die Reichen und Mächtigen vertuschen wie immer zum eigenen Vorteil die Wahrheit und lassen den einfachen Handlanger über die Klinge springen, während der einfache rechtschaffende Bürger um seines Seelenheil willens einzig die Wahrhaftigkeit und die Gerechtigkeit verfolgt.
Ich bin nicht sicher, wie Carrés Empfindliche Wahrheit gelesen oder verstanden werden soll. Ich habe mich vor allem amüsiert - über die Art, wie Carré mit seinen Figuren umgeht, wie wenig ernst er sie nimmt und wie seine Beschreibungen jeden Selbstdarsteller mitleidlos entlarven. Den Roman als Krimi zu betrachten, kam mir nicht wirklich in den Sinn. Dennoch hatte ich zum Teil Angst um einige Figuren und wollte nicht, dass ihnen etwas zustößt. Das letzte Drittel hat mich dann völlig eingefangen und ich wollte das Buch nicht mehr aus der Hand legen. Somit ist wohl dann doch einiges gegeben, um den Roman als gute Krimilektüre zu bezeichnen.