Lügen und Geheimnisse - Whistleblower leben gefährlich

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buecherfan.wit Avatar

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John Le Carré, der Altmeister des Spionagethrillers, legt mit 81 Jahren seinen 23. Roman vor: Empfindliche Wahrheit. Es ist auch nach eigener Aussage sein persönlichster, denn hier bezieht er Erfahrungen ein, die er während seiner Tätigkeit für den britischen Geheimdienst gemacht hat. Interessanterweise musste er damals den Dienst quittieren, als bekannt wurde, dass er der Autor von “Der Spion, der aus der Kälte kam” ist.

In seinem neuen Roman geht es um die streng geheime Operation Wildlife. Fergus Quinn, der zwielichtige Staatsminister im Außenministerium, arbeitet mit Jay Crispin zusammen, dem Chef des international operierenden privaten Militärdienstleisters Ethical Outcomes, hinter dem die erzkonservative texanische Milliardärin Mrs Spencer Hardy, genannt “Miss Maisie” steht. Für die geheime Aktion rekrutiert Fergus Quinn mit Christopher Probyn einen erfahrenen älteren Diplomaten, der in seiner langen Laufbahn weder im positiven noch im negativen Sinn besonders aufgefallen ist. Er soll vor Ort die Aktion überwachen und Quinn laufend Bericht erstatten. Außerdem ist eine Spezialeinheit britischer Soldaten beteiligt.

Zu Beginn des Romans wartet Probyn alias Paul Anderson in einem miesen Hotel in Gibraltar auf seinen Einsatz. Er weiß nicht viel über die Operation Wildlife. Ein islamistischer Waffenhändler soll entführt werden. Trotz erheblicher Bedenken auf Seiten Andersons und des Soldaten Jeb, die keine Rechtfertigung für einen Zugriff sehen, findet Operation Wildlife statt und ist angeblich ein voller Erfolg. Kurz danach wird Probyn der Adelstitel verliehen und er bekommt einen attraktiven Posten in der Karibik.

Drei Jahre später werden die Ereignisse von damals wieder brandaktuell. Sir Christoper Probyn lebt mit seiner Frau in Cornwall, als er sich bei einem traditionsreichen Volksfest dem Ex-Soldaten Jeb gegenüber sieht. Von ihm erfährt er, wie sich alles in Wirklichkeit verhielt. Die Aktion war ein völliger Fehlschlag, und es gab unschuldige Opfer.

Mit Toby Bell, dem aufstrebenden jungen Assistenten des windigen Ministers Quinn, gibt es einen weiteren Mitspieler, der seinen Chef damals bespitzelt hat und über belastendes Tonbandmaterial verfügt. Bell und Probyn versuchen, Licht in die dunkle Angelegenheit zu bringen, aber niemand ist an der Wahrheit interessiert. Giles Oates, früher graue Eminenz im Außenministerium und Mentor des jungen Toby Bell, danach Banker, hat ihn damals nicht unterstützt und warnt ihn auch jetzt vor gefährlichen Aktionen. Werden die “Guten”, die Idealisten Bell und Probyn, den Mut finden, mit ihrem Wissen an die Öffentlichkeit zu gehen?

John le Carré zeichnet vor dem zeitgenössischen Hintergrund von Tony Blairs New Labour und dem Kriegseintritt Großbritanniens in den Irakkrieg an der Seite der USA das deprimierende Bild einer Welt, die bestimmt ist von Gier nach Macht und Geld, wo Moral keine Rolle spielt und Kollateralschäden hingenommen werden. Er zeigt, dass Whistleblower ihr Leben riskieren, wenn sie versuchen, Verschwörungen von Politikern, Geheimdiensten, Militär und dubiosen Profiteuren aller Art aufzudecken. Seine Kritik richtet sich gegen den Staat im Staat, gegen die Art und Weise, in der unter dem Deckmantel von Terrorismusbekämpfung und nationaler Sicherheit demokratische Systeme unterminiert werden.

Le Carrés Alterswerk ist gut zu lesen, aber nicht frei von Mängeln, zum Beispiel bei der etwas simplen Aufteilung in die Guten und die Bösen. Der Leser fragt sich, was denn eigentlich der wahre Zweck der Operation Wildlife war und wer die Hintermänner waren. War alles von vornherein nichts weiter als ein Millionenbetrug am britischen Steuerzahler? Auf diese Fragen gibt es keine Antwort. Dennoch ist das Buch lesenswert, spürt man doch hinter der komplizierten Geschichte das Engagement und den Zorn des Autors.