Wenn das Schicksal etwas anderes will

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elke seifried Avatar

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„Liebe Nachbarn, macht euch keine Sorgen! Ich bin nicht tot, nur für eine Zeit lang unterwegs. Ich hab den Müll runtergebracht, wenn es jetzt stinkt, sind es wahrscheinlich, wie ich schon seit JAHREN (!!!!!) der Hausverwaltung sage: Mäuse in den Wänden! Hella Licht“, steht auf dem Schild, das Hella an ihre Haustüre hängt, als sie sich ins Auto gen Schweiz setzt, um dort ihrem Leben einen glamourösen Abgang zu bereiten. Ihrem wesentlich jüngeren ein Ende setzen möchte auch Juli, für die gilt, „Julis Entschluss war, so wie jede Entscheidung in ihrem Leben, keine spontane Idee. Sie war ja nicht blöd. Andere Fünfzehnjährige mochten, getrieben von irgendwelchen Hormonen oder dem Mangel davon, frierend auf Autobahnbrücken enden. Juli stand hier, weil hier zu stehen die einzige logische Konsequenz aller Optionen bedeutete.“. Doch ganz so leicht macht es den beiden das Schicksal nicht, denn das meint, dass sich die beiden erst einmal kennenlernen müssen.

Die Brücke, von der Juli springt, ist schlichtweg nicht hoch genug, und auch der anschließende Plan, „Gleich kommt ein Wagen, dann ist es wirklich, wirklich vorbei, dachte Juli, schloss die Augen und wartete. Gleich würde es endlich dunkel. Gleich. Nur ein paar letzte Atemzüge.“, überfahren zu werden, geht nicht auf, denn „Doch statt dunkel wurde es laut, und ein weißer Passat kam kreischend vor ihr zum Stehen. Hella stürzte aus dem Auto mit einer Geschwindigkeit und Agilität, die sie sich selbst nie zugetraut hätte.“ Und so landet Juli statt im Himmel mit der klaren Anweisung »KÖNNTEST DU DIE FREUNDLICHKEIT BESITZEN, NICHT IN MEINEM AUTO ZU STERBEN?«, in Hellas Auto. Als Leser darf man sich nun mit Hella und Juli auf eine Art Roadtrip begeben, der nach einer Stippvisite im Krankenhaus über Rastanlagen auf der Autobahn erst einmal Richtung Ulm / Heidenheim führt. Man mischt sich mit den beiden unter feiernde Feuerwehrmänner, quartiert sich in einer Therme zum Duschen ein und stattet auch einem Altenheim einen Besuch ab. Dabei erfährt man nach und nach, was Juli auf der Seele brennt, wie es wohl dazu gekommen ist, dass, „Dinge, die sie sonst noch genießen oder zumindest ablenken konnten, nicht mal sie hatten noch eine Überzeugungskraft.“, und natürlich auch, warum Hella auf dem Weg in die Schweiz ist.

Sehr einfühlsam, trotzdem nicht tief traurig machend, beschreibt die Autorin die Gefühlslage der beiden Protagonisten. Dies gelingt ihr äußerst authentisch und stets nachvollziehbar. Juli und Hella könnten dem echten Leben entsprungen sein. Hier sind Ronja von Rönne sicher ihre eigenen Erfahrungen mit Depressionen zur Abwechslung einmal zum Vorteil. Ich konnte mich stets in Hella und Juli hineinversetzen und so habe ich mit ihnen eben auch die Höhen und Tiefen erleben können. Zudem sind mir die beiden mit ihren Eigenheiten auch ein wenig ans Herz gewachsen, mehr vielleicht noch Juli, die zusätzlich meinen Beschützer-Instinkt geweckt hat. So gerne hätte ich das Mädchen einfach nur tröstend in die Arme genommen. Deshalb habe ich natürlich auch mitgefiebert und wollte unbedingt wissen, ob die beiden noch einmal die Kurve bekommen und von ihrem Vorhaben, dem Leben ein Ende zu bereiten absehen, was mich an den Roman gefesselt hat. Gut hat mir gefallen, dass ich auch immer wieder schmunzeln durfte, wofür pointierte Wortwechsel und auch die eine oder andere lustige Szene gesorgt haben.

Ich habe abwechselnd gelesen und gehört. Da es sich um eine vollständige Lesung handelt, optimal zu handeln und toll ist einfach, wenn die Autorin selbst einliest. Wer könnte schließlich mehr Gespür für die Atmosphäre der Szenen und die Emotionen der Protagonisten haben, als derjenige, der sie zum Leben erweckt hat. Wenn sich dazu noch so eine angenehme Stimme gesellt wie hier, steht dem Hörvergnügen nichts mehr im Weg. Daher kann ich sowohl den Roman als auch das Hörbuch empfehlen.

Mit spitzer Zunge, an keiner Stelle jedoch flach oder flapsig, erzählt die Autorin hier gekonnt und äußerst unterhaltsam vom Wunsch zu Sterben und den Überraschungen des Lebens. Mir hat es gut gefallen und deshalb gibt es auch wohlverdiente fünf Sterne dafür.