3,5 Sterne: Intelligenter Thriller mit dreidimensionalen Personen

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~ Ein anspruchsvoller Thriller, der eindrucksvolle Einblicke in die Welt einer Blinden gibt und der mit überzeugenden Personen, einer sympathischen Hauptperson, unerwarteten Wendungen und sogar Humor punkten kann. Lediglich mit dem Schreibstil und der nicht immer gleich stark vorhandenen Spannung hatte ich manchmal Probleme. ~

Inhalt

Jenny Aaron war Mitglied einer Elitegruppe der Polizei. Sie war eine der Besten, bevor sie bei einem Einsatz schwer verletzt wurde und erblindete. Nun arbeitet sie als Verhörspezialistin. Ihr neuester Fall: Boenisch, ein Frauenmörder, den sie damals ins Gefängnis brachte, hat eine Psychologin ermordet und er wird nur dann reden, wenn sie ihm gegenüber sitzt...

Warum habe ich dieses Buch gelesen?

Die Antwort ist dieses Mal kurz und einfach: Eine blinde Polizistin - dass würde mir einen ganz neuen Horizont eröffnen - war ich mir sicher.

Meine Meinung

Zuerst zum Schreibstil. Der Autor schafft es, sehr bildlich und schön zu schreiben und schafft es stellenweise auch große Spannung erzeugen. Ohne Zweifel ist der Autor sehr gebildet, das hat mich wirklich beeindruckt. Ganz nebenbei lässt er lateinische Sprichwörter einfließen, lässt seine Figuren über die Werke der großen Philosophen reden als hätte er jedes davon gelesen - vielleicht hat er das auch. Der Schreibstil ist an manchen Stellen wunderbar anspruchsvoll - an anderen scheint es jedoch zu dick aufgetragen. Aarons Gedanken sind oft unerklärlich sprunghaft, kaum nachzuverfolgen, und an manchen Stellen hatte ich schlichtweg das Gefühl, ich hätte irgendetwas verpasst, etwas überlesen, weil sich mir die Zusammenhänge nicht erschlossen. "Telegramm-Stil", so wurde es in irgendeiner anderen Rezension beschrieben - nicht alle werden das mögen. Die Sätze sind an manchen Stellen unvollständig, bestehen oft nur aus wenigen Worten, und das wirkt abgehackt, unflüssig. Das alles zusammen war manchmal leider frustrierend und mühsam für mich, weil mein Lesefluss dadurch sehr gestört wurde, und so möchte ich mich während des Lesens nicht wirklich fühlen.

"Sein Schweigen ist so tief, dass man einen Stein heinwerfen könnte und ihn nie wiedersehen würde." S. 37

Der Leser merkt sofort, dass der Autor gründlich recherchiert hat. Man erfährt interessante Details aus dem Leben einer Blinden und wie diese Menschen es schaffen sich zurecht zu finden. Man versteht auf einmal, wie schwer es ist, in einer Welt zu leben in der alles auf dem visuellen Sinn aufgebaut ist und ein extremer Fokus auf diesem liegt. Unglaublich fand ich manche ihrer Talente, und war überrascht herauszufinden, dass es vieles davon tatsächlich gibt wie z.B. das "Klick-Sonar", mit dem Blinde ihre Umwelt erforschen können.

Eine weitere Stärke sind mit Sicherheit die ausnahmslos wundervoll ausgearbeiteten Personen. Der Autor nimmt sich viel Zeit für viele von ihnen und schafft Figuren mit Stärken, Schwächen und einer Vergangenheit. Ihre Beziehungen zueinander sind ein kompliziertes Geflecht, das durch verschiedene Ereignisse geprägt wurde und sich ständig verändert. Nach und nach enthüllt der Autor immer mehr Facetten seiner Charaktere, immer mehr ihrer Gefühle werden offenbart.

Besonders herausgestochen hat dabei der Bösewicht: Holm. Er ist sicher einer der besten, ungewöhnlichsten Bösen, über die ich je lesen durfte. Intelligent und höflich, gleichzeitig aber auch berechnend und gefährlich. Immer wieder erzählt er etwas mehr von sich, immer tiefer bekommt der Leser Einblicke in seine Welt. Ebenso wie Aaron ist man selbst oft überrascht darüber, was sich alles darin verbirgt. Erstklassige Arbeit!

Auch Aaron (man gewöhnt sich daran, dass immer nur ihr Nachname geschrieben steht und irgendwann kommt es einem sogar komisch vor, wenn sie beim Vornamen genannt wird) konnte mich überzeugen. Dem Autor ist es hier gelungen eine Heldin zu schaffen, die stark und kämpferisch ist, aber dennoch dabei nie ihre Weiblichkeit verliert. Sie ahmt keine Männer nach, gibt sich nicht übertrieben hart, weil sie es nicht nötig hat. Eine Polizistin, die versucht hätte wie diese Männer in Action-Streifen zu reden, hätte mich sicher genervt. Stattdessen ist Aaron (neben ihrem Leben als tödliche Elitepolizistin) auch einfach eine normale Frau mit Problemen, Zweifeln, Eigenheiten und einem Modegeschmack, den sie sich nicht nehmen lässt. Manches Mal schien es mir jedoch so als wäre sie zu stark, zu effektiv, trotz ihrer Blindheit. Manches ihrer Manöver fand ich also nicht ganz glaubwürdig, aber ein Roman darf sich schon seine Freiheiten nehmen, deshalb hat es mich nicht sonderlich gestört.

Auch der Plot kann überzeugen. Alles wurde bis ins kleinste Detail geplant, alles hängt miteinander zusammen, und - das Wichtigste - am Ende ergibt alles einen Sinn. Die Geschichte ist spannend und voller unerwarteter Wendungen, die sich nicht erahnen lassen.

Die Spannung war leider nicht durchgehend vorhanden. Vor allem im zweiten Teil gab es Stellen, an denen ich extrem langsam vorankam (ich schaffte ungewöhnlich wenige Seiten in einer Stunde), und ich musste mich manchmal überreden, weiterlesen. Das lag sicher weder an den Personen, noch an der Handlung (die sehr interessant war), sondern einfach am Schreibstil, der mir nicht immer leichtfiel. Auch das häufige Herumspringen in Aarons Erinnerungen war etwas an das man sich gewöhnen muss.

Zusätzlich schafft es der Autor auch noch Humor einzubauen. Ich fand Pavliks trockene Aussagen manchmal echt lustig und musste schmunzeln. Wer mich kennt, weiß, dass ich (angemessenen) Humor in jedem Buch schätze - ausnahmslos.


Mein Fazit

Ein anspruchsvoller Thriller, der eindrucksvolle Einblicke in die Welt einer Blinden gibt und der mit überzeugenden Personen, einer sympathischen Hauptperson, unerwarteten Wendungen und sogar Humor punkten kann. Lediglich mit dem Schreibstil und der nicht immer gleich stark vorhandenen Spannung hatte ich manchmal Probleme.

Ich empfehle dieses Buch allen, die einmal die Welt aus einer anderen Perpektive sehen möchten und die sich von einem sprunghaften Schreibstil nicht aus der Ruhe bringen lassen.

Übersicht

Stärken:
* Schreibstil (anspruchsvoll, schön)
* Personen (sehr gut ausgearbeitet, alle)
* Handlung (gut geplant)
* unerwartete Wendungen
* Humor
* ungewöhnlicher, faszinierender Bösewicht
* Spannung

Schwächen:
* Schreibstil (manchmal verwirrend, zu sprunghaft, Telegramm-Stil)
* Spannung dadurch nicht immer spürbar
* Hauptperson manchmal zu effektiv trotz Blindheit

Erzählstil: Personaler Erzähler; Präsens, teilweise Präteritum;
Perspektive: aus männlicher und weiblicher Perspektive verschiedener Personen;

Bewertung:

Idee: 5 Sterne
Ausführung: 3,5 Sterne
Schreibstil: 3,5 Sterne
Personen: 5 Sterne ♥
Protagonistin: 5 Sterne ♥

Zusatzkriterien bei diesem Buch:

Spannung: 3 Sterne
gut recherchiert: 5 Sterne ♥


Insgesamt:

❀❀❀,5

3,5 Lilien, die aufgerundet werden!

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