Der Weg des Bushidõ

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botte05 Avatar

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„Seit Jenny Aaron bei einem missglückten Einsatz vor fünf Jahren das Augenlicht verlor, arbeitet sie als Vernehmungsspezialistin beim BKA. Sie versteht es perfekt, zwischen den Worten zu tasten und das dahinter Verborgene zu erspüren. Als ihre früheren Berliner Kollegen sie bei einem Mordfall um Mithilfe bitten, wird Aaron jäh in ihre Vergangenheit gerissen: Reinhold Boenisch, für dessen Verurteilung sie als junge Polizistin sorgte, soll im Gefängnis eine Psychologin getötet haben. Aaron nimmt den Fall an und muss schon bald erkennen, dass Boenisch nur der Anfang ist – eine Schachfigur in einem Komplott. Nach und nach wird ihr offenbar, dass ihr bisheriges Leben eine einzige Vorbereitung auf die folgenden beiden Tage war. Um dieses Leben wir Aaron kämpfen müssen wie nie zuvor.“ – Zitat Klappentext

So viel hat Jenny Aaron seit ihrer Erblindung erreicht. Energiegeladen und kampfbereit hat sie sich voll auf ihre Mobilisation fokussiert und in kürzester Zeit war sie so trainiert, dass sie weitgehend auf fremde Hilfe verzichten kann. Die Vergangenheit hat sie hinter sich gelassen, nicht zuletzt deswegen, weil sie seit dem Unfall an einer Amnesie leidet. Es gibt nur diesen einen Punkt, diese nagende Frage: hat sie wirklich unverantwortlich ihren Geliebten und Kollegen Niko an jenem Tag einfach zurückgelassen und den unausgesprochenen Ehrenkodex gebrochen?

Jetzt, wieder in Berlin, wird diese Frage umso drängender, als das ausgerechnet Niko sie am Flughafen abholt. Aber alle freuen sich offensichtlich über Aaron’s vorübergehende Rückkehr ins Team, insbesondere Pavlik, mit dem Jenny eine innige Freundschaft, die seine gesamte Familie umfasst, verband. Wohltuend "normal" knüpft die Gegenwart sich an die Vergangenheit mit dem Team an.
Aaron wird schnell klar, dass der aktuelle Mord lediglich ein Köder ist, um sie zurück nach Berlin zu lotsen und in ein perfides Katz-und-Maus-Spiel verwickeln zu können. Aber wer zieht die Fäden? Wer hat mit ihr noch eine unbeglichene Rechnung offen? Die Ereignisse nehmen an Fahrt auf und Jenny’s Gespür bewahrheitet sich. Sogar seltsame Situationen aus der jüngeren Vergangenheit geraten in einen anderen Blickwinkel. Nach und nach fällt der Vorhang, was überraschender Weise sogar Türen in Aaron’s verschlossenem Gehirn zu öffnen vermag. Sollte es in diesem Fall letztlich nur um sie gehen?

Die Person der Jenny Aaron ist schlüssig und komplett. Das Blindsein der Hauptdarstellerin ist bar unpassenden Mitleids und – soweit ich es zu beurteilen vermag – gut recherchiert und somit für mich als Leser teilweise schon zu vergessen. Auch hat sie keine exorbitanten Superkräfte, sondern agiert – genau wie früher als Sehende – konzentriert, fokussiert und entsprechend trainiert. Einer asiatischen Kampfkunst, dem Bushidõ, seit Jahren folgend, weiß sie sich zu wehren und ruht ein Stück weit in sich selbst.

Mit „Endgültig“ halte ich einen Thriller der Extraklasse in der Hand. Das Buch mit seinem eher schlichten, aber doch lockenden Cover sowie dem gelben Schnitt hinterlässt sofort einen qualitativ hochwertigen Eindruck. Eine Außenansicht, welcher der Inhalt in nichts nachsteht. Es gelingt dem Autor, mich unmittelbar an die Hand zu nehmen und meinen Lesefluss zu steuern. Andreas Pflüger entscheidet, wann ich aus dem Buch zurückkehre, sich meine innere Anspannung löst und die Atmung normalisiert. Er scheint mit mir zu spielen, ähnlich wie im Buch mit der Protagonistin gespielt wird. Mit dem entscheidenden Unterschied, dass es bei mir nicht um Leben und Tod, sondern lediglich um „wann gibt es was zu essen?“ geht.

Ich kann nur sagen „alle Daumen hoch für Thrillerfans“!

Rezension: Andreas Pflüger, Endgültig, Thriller, Suhrkamp , gebundene Ausgabe, 459 Seiten, 19,95 €, Erscheinungsdatum: 07.03.2016