Nicht sehr mitgerissen von "Entrissen"

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"Entrissen" von Tania Carver war ein interessantes Leseerlebnis. Zu Beginn hat mir das Buch sehr gut gefallen, die Charaktere waren überzeugend gewählt, es handelte nicht nur von einfach gestrickten Persönlichkeiten, die Story hat viel Spannung versprochen und die Handlung startete auch schnell und brutal. Viele Verwicklungen und unbekannte Personen werden eingebunden und als Leser versucht man ständig, die Zusammenhänge zu verstehen. Sehr schön sind die Wechsel der Sichtweisen, so bekommt man die Handlung aus nahezu jedem Charakter vermittelt und hat eine Chance, etwas mehr zu erfahren und langsam das Puzzle zusammenzufügen.
In der Mitte des Buch jedoch fiel die Spannung ab, die Handlung war teilweise voraussehbar, hat sich nicht groß weiter entwickelt und die Ereignisse folgten zu langsam aufeinander. In diesem Zusammenhang wird man als Leser auch zu sehr von den privaten Verwicklungen der Charaktere verwirrt, für meinen Geschmack waren es zu viele nicht zusammenhängende Informationen.
Erst im letzten Viertel hat das Buch wieder an Spannung zugelegt. Aber auch hier passieren nur wenige Einzelheiten unerwartet, die Handlung wurde insgesamt unglaubwürdiger. Andererseits waren auch einige Wendungen eingebaut, sodass die Spannung für den Leser nicht völlig verloren geht. Trotz allem war das Ende nicht weniger lesenswert. Ich hatte auch zu keinem Zeitpunkt das Verlagen, das Buch einfach wegzulegen, habe mir nur vermutlich nach dem tollen Anfang nur noch ein bisschen mehr versprochen.
Die Charaktere sind insgesamt gut gewählt, jedoch etwas zu sehr schwarz/weiß (gut/böse) verkörpernd, sodass es nicht mehr realistisch wirkt. Dennoch sind die Geheimnisse, Verwicklungen und Probleme der Charaktere stets interessant und lockern die Handlung etwas auf.
Insgesamt überzeugte mich vor allem die realitätsnahe Betrachtung, auch wenn die Charaktere einen Schwachpunkt darstellen. Die Gedanken und Handlungen hingegen sind so gut beschrieben, dass man sich als Leser nicht in den Einzelheiten verirrt, sondern den Blick für das Wichtige behält. Nur an wenigen Stellen werden Einzelheiten über die Umgebung gegeben, meistens jedoch im Zusammenhang mit der Handlung, sodass im Nachhinein wieder auf diese Eindrücke zurückgegriffen wird.
Der Schreibstil ist äußerst angenehm, selbst die Gedanken des wirren Ich-Erzählers sind verständlich und den Gefühlen dieser Personen angepasst geschrieben. Zu jedem Zeitpunkt lässt sich das Buch leicht lesen, ohne dass man sich zu lange mit den Formulierungen aufhält oder im Lesefluss gestört wird. Besonders gut gefallen hat mir übrigens der leicht plastische Einband, das Buch fühlt sich dadurch einfach klasse und hochwertig an.
Insgesamt hat das Buch mir gut gefallen, einige Schwachpunkte haben allerdings die Lesefreude etwas gestört. Etwas schade ist, dass die Spannung nicht konstant im gesamten Buch aufrecht gehalten wird, sondern zu Beginn fast größer ist als am Ende.