„Die Kiste mit den Nägeln drauf kann warten!“

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elke seifried Avatar

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Schon mehrfach hat mich Teresa Hennig mit ihren unterhaltsamen Romanen mit auf eine gelungene Auszeit mit nach Italien genommen, deshalb war ich sehr gespannt auf den neuen, auch wenn es diese Mal nicht nach Bella Italia geht.

„Schon die zweite Nacht von Ernst geträumt. Koffer gepackt. Mutter hat mal gesagt, wenn alte Menschen Koffer packen, dann gesellen sie sich bald zu den Ahnen.“ Soll es das gewesen sein für Bianca, die ihr Leben lang mit Ehemann Ernst für die Villa auf Mallorca gespart hat, nichts von der Welt gesehen hat und für die nach dessen Tod nun gilt, »Die meisten meiner Freunde sind entweder tot oder in der alten Heimat. Ich hock hier die ganze Zeit allein herum.«? Nein, denn frisch verliebt heißt es nun „Die Kiste mit den Nägeln drauf kann warten! […] Bin doch erst 74, na gut, aufgerundet 75“, und mit viel frischem Rückenwind, »Wolfi und ich… wir planen eine Weltreise.« Würde eine kleine Auszeit wohl keinen ihrer beiden Kinder und auch Zugehfrau Teresa nicht weiter interessieren, ruft die Tatsache »Mein Erspartes reicht höchstens für Rucksacktourismus. Und dafür bin ich schon zu alt. Ich werd das Haus verkaufen.« jedoch ganz schnell die Erben auf den Plan.

Als Leser lernt man Bianca kennen, erfährt von ihrer neuen Liebe und ihren Plänen und ist dann dabei, als Haushälterin Teresa in Aktion tritt, im fernen Deutschland die Drähte heiß laufen und nicht nur Biancas Schwiegertochter in Wallung versetzen, »Deine Mutter will ihr Haus verkaufen und mit einem Heiratsschwindler durchbrennen.« »Was?« Steffen konnte das kaum glauben. »Sie scheint krank zu sein. Schwer krank.« »Hat sie das Anja gesagt?« »Nein. Sie weiß es von Teresa. Du weißt schon. Die Alte, die ihr hilft. Anja meint, wir sollten zu ihrem Geburtstag hinfahren. Könnte ihr letzter sein.« Ist es die Sorge um die Mutter, die man schon so lange nicht mehr besucht hat, oder doch eher die ums Erbe, die sie alle schnell Billigtickets buchen und Koffer packen lässt? Glaubt man Luisa, der einzigen der Familie, die stets den Kontakt gehalten hat und sich aufrichtig für das Liebesglück ihrer Oma freut, wohl eher ums liebe Geld. »Und jetzt haben sie Schiss, dass ich mich von Wolfi ausnehmen lasse und ihm mein Vermögen vermache. Na ja, da wäre ich nicht die Erste hier auf der Insel.« Luisa nickte zaghaft. »Gut zu wissen!«, stellte Bianca fest. Warum sich nun ein süffisantes Grinsen auf Omas Lippen stahl, erschloss sich Luisa gerade nicht.“ Warum sich Bianca über die Tatsache freut, und ob sich eine Schlacht um den größten Batzen vom Erbe entwickelt, wird hier nicht verraten. Nur so viel vielleicht noch, es geht längst nicht nur ums Aufteilen, was am Ende bleibt und herausfinden, ob es Wolfi denn nun Ernst mit Bianca meint oder nicht, sondern auch um ganz viel Aufarbeiten von Vergangenem „Sie trug keine Schuld daran, dass sein Vater sich ihm gegenüber so mies verhalten hatte.“, oder „Anja zog sofort die Gedankenbremse, denn auch für den Badeunfall konnte sie ihre Mutter nicht verantwortlich machen. Anscheinend suchte man immer einen Schuldigen, warf Anja sich in dem Moment vor.“, das Aufdecken von Familienlügen, »Ich hab ihn geliebt, jedenfalls so lange, bis…«, und auch die Liebe darf bei Urlaubsgefühlen natürlich nicht zu kurz kommen, denn nicht nur Wolfi hat Biancas Herz wieder aus der Versenkung geholt, sondern auch Luisas Hormone geraten in Wallung, wenn sie sich mit dem attraktiven Krankenpfleger Felix gemeinschaftlich in ein Alzheimer Projekt stürzt. »Stellt euch vor: Alejandro reagiert auf Musik. Ich hab das recherchiert. Menschen wie er können sich anhand von ihnen bekannten Melodien Dinge merken. Der Teil im Gehirn funktioniert und kann dann Informationen speichern, Gesichter, Gegebenheiten an die Musik ketten. Wir haben einen Film für ihn gemacht. Mit Fotos von seinem Sohn, damit er sich wieder an ihn erinnern kann.«

Der plaudernd, flüssige und pointierte Sprachstil der Autorin macht Laune und liest sich locker, leicht, der perfekte Roman um sich entspannt eine unterhaltsame Auszeit zu nehmen. Anschauliche, spitze Beschreibungen, und da sind „Wolfi liebte Blau, das gefiel ihm auch an ihren Augen so, und früher hatte die Farbe sowieso perfekt zu ihren naturblonden Haaren gepasst. Zu Friedhofsblond passte gottlob alles. Einer der Vorzüge des Alters.“ Oder „Teresas Augen weiteten sich. Ihre Stirnfalten sprangen erneut in den Canyon-Modus. Sie suchte Halt am Stiel des Wischmopps.“, nur zwei Beispiele dafür, lassen das Kopfkino anlaufen und die Mundwinkel oft nach oben wandern. Hauptcharaktere, in die man sich gut hineinversetzen kann, kleine Hinweise, „Hoffentlich wirkt’s nicht ganz so doll …“, warum?, die neugierig machen und Vermutungen anstellen lassen, zahlreiche amüsante Szenen, aber durchaus auch solche, denen der Ernst nicht fehlt und die zum Nachdenken anregen, haben mir das Lesen trotz der einen oder anderen kleinen Länge, die ich erstmals in einem Roman aus ihrer Feder verspürt habe, zum unterhaltsamen Gesamt gemacht.

Wie immer in Tessa Hennings Romanen ist das Regionalkolorit einfach nur perfekt. Man erfährt ganz nebenbei wieder einmal zahlreiches über Sitten, Land und Leute. „Bianca trat mit ihrem Cortado largo, wie man hierzulande mit Milch gestreckten Espresso nannte,“, oder »Wusstest du, dass dieses Sóller jahrhundertelang vom Rest der Insel abgeschieden war und sich eher Frankreich zugehörig fühlte? Angeblich gibt’s dort heute noch viele Alte, die Spanisch mit französischem Akzent sprechen.«, sind nur zwei Beispiele dafür. Hier geht es per Kopfkino in die schönsten Ecken Mallorcas „Ein Ausblick schöner als der andere. Dazu die klare Luft, der Duft von Nadelbäumen, romantische Schluchten, in denen Schäfer ihre Herde grasen ließen. Mallorca war ein Traum. Wer brauchte da schon die stinklangweiligen Malediven?“. Mein Fernweh, das mich am liebsten auch mit vor Ort in einer traumhaften Bucht baden oder von den Köstlichkeiten der regionalen Küche kosten hätte lassen wollen, war beim Lesen auf jeden Fall groß.

Bianca ist eine Frau wie du und ich, mit Macken, Kanten und Ecken und alltäglichen Sorgen, eben wie aus dem richtigen Leben, warum ich die Romane der Autorin, die stets solche zu Hauptpersonen macht, so schätze. Es ist nie zu spät einen Neuanfang zu wagen und man muss die Zeit nutzen, die einem das Leben schenkt, auch Bianca zeigt wieder einmal gekonnt, dass dies möglich ist. Sie kommt authentisch, echt daher. Aber nicht nur sie, auch ihre Kinder mit ihren Sorgen, ihren unaufgearbeiteten Kindheitserfahrungen sind realistisch gezeichnet. Gut gefällt mir auch, dass alle Mitspieler hier nachvollziehbare Entwicklungen mitmachen und auch nicht alle Eigenheiten sofort offen auf der Hand liegen, sondern erst nach und nach ans Tageslicht kommen.

Alles in allem eine neuer Urlaubsroman und wenn meiner Meinung nach auch nicht der beste aus der Feder der Autorin, der mir eine willkommene Auszeit und einige entspannte Lesestunden auf dem Liegestuhl bereitet hat.