Erschütternde Ehrlichkeit

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elfe1110 Avatar

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Wow! Percival Everett konfrontiert uns mit der größten Erschütterung, die Eltern erfahren können. Und trotz einer oftmals eher nüchternen Sprache sind viele Sätze, Gedanken eine Qual, so feinfühlig und gleichzeitig schonungslos ehrlich sind sie.

Der Paläontologe Zach Wells ist ein eher kühler, sachlicher Mensch, der Situationen analytisch begegnet und stets nach Lösungen sucht. Entsprechend nüchtern scheint da auch seine Ehe mit Meg. Allein in seiner Liebe zur gemeinsamen 12-jährigen Tochter Sarah ist er ein anderer, sehr emotionaler und liebevoller Mensch. Als die Eltern die Diagnose einer schweren, nicht heilbaren Erbkrankheit für ihre Tochter erhalten, bricht für Zach eine Welt zusammen. Er flüchtet sich in die wahnwitzige Idee, einem Hilferuf, den er in einer online erworbenen Second-Hand-Jacke gefunden hat, nachzuspüren.

Dieses Buch hat mir das Herz gebrochen! Hier ist ein Vater, der seine Tochter auf das Leben mit all seinen Facetten vorbereiten, sie aufwachsen sehen will. Stattdessen sieht er sich nun mit der ausweglosen Situation konfrontiert, sich selbst auf ihren nahen Tod vorbereiten zu müssen und dabei gegen die Zeit und gegen das Vergessen zu spielen. Sprachlich setzt Percival Everett dies, übersetzt durch Nikolaus Stingl, wunderschön um. Wir lernen den Hochschulprofessor kennen, der stets nüchtern und lösungsorientiert agiert. Der teilweise abgeklärt und grob wirkt. Dann aber eben auch den in seiner ganzen Existenz erschütterten Vater, der in teils sehr feinfühligen, poetischen und vorsichtigen Worten, dann wieder in erschütternd offener Sprache die Realität in Worte fasst. Der uns an seinem unsäglichen Kummer teilhaben lässt und versucht, Worte für das Unfassbare zu finden. Dessen Lebenskonstrukt von einem Tag auf den anderen nicht mehr funktioniert. Der Hilferuf in der Jacke, der mir anfangs wie eine schräge Idee des Autors erschien, fügte sich so im Laufe des Buches quasi wie eins von vielen Puzzleteilen in das Gesamtbild ein.

Selten hat mich Sprache so mitgenommen, selten hat ein einziges Wort, ein Titel, so überwältigend ein Buch beschrieben. Eine ganz große Leseempfehlung, jedoch mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass das Thema Kindstod sicherlich nicht für jede*n Leser*in geeignet ist.