Was für ein Fund!

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singstar72 Avatar

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Was für ein Fund! Das Abtauchen in einen Krimi-Klassiker hat sich in diesem Fall absolut gelohnt. Die Schreibweise von Rex Stout ist sicherlich anders. Sie stammt aus ihrer Zeit; und das muss man berücksichtigen. Dennoch hat dieser Fall seine ganz eigene Aktualität.

Zunächst einmal zur Neuauflage selbst. Der Klett-Cotta Verlag hat bis jetzt drei alte Fälle von Rex Stout neu übersetzt und herausgegeben, wovon dieser Band der erste ist. Es ist nicht der erste Fall aus der Reihe um Nero Wolfe, aber der seinerzeit bekannteste und erfolgreichste. Das Buch wurde sehr liebevoll gestaltet, in einem handlichen Format, mit griffigem und hochwertigem Leineneinband, mit sehr gut lesbarer Schrifttype und liebevollen Illustrationen. Auch das Nachwort, sowie ein Auszug aus dem Nachlass von Rex Stout, haben das Bild vervollständigt. Die Neuübersetzung ist ebenfalls eine Erwähnung wert. Conny Lösch hat es fertig gebracht, dem Amerikanischen Englisch der 60er Jahre Leben einzuhauchen, ohne flapsig zu wirken. Der sehr feine, hintersinnig ironische Humor von Rex Stout bleibt dabei erhalten.

Es geht hier um nichts weniger als um das FBI und seine Ermittlungsmethoden – ein brandheißes Thema in den USA der 60er, kurz nach McCarthy und JFK. Nero Wolfe wird von einer reichen Klientin gebeten, die Verfolgung durch das FBI abzustellen. Die Dame hatte ein Enthüllungsbuch an einflussreiche Personen verschickt. Der Auftrag scheint aussichtslos – bis Nero Wolfe durch Zufall und durch gute Verbindungen auf einen ungelösten Mordfall stößt, in den das FBI verwickelt sein könnte. Hier setzt er an, und findet zu einer höchst ungewöhnlichen Lösung.

Das Buch ist nun nicht nervenzerfetzend spannend – eher sehr untergründig. Erstens einmal muss man wissen, dass die eigentliche Arbeit von Nero Wolfes Assistenten erledigt wird. Ich habe mich sehr gefreut, Archie Goodwin wieder zu treffen. Ich selber kenne Nero Wolfe aus der Fernseh-Serie der 80er Jahre, und stelle wohlwollend fest, dass die Serie sehr eng am Original geblieben ist. Archie Goodwin ist sehr gutaussehend, und lässt keine Gelegenheit aus, um mit Klientinnen zu flirten, oder über seine Chancen nachzudenken. Nur er verlässt das Haus – Nero Wolfe interessiert sich für gutes Essen, und seine Orchideen, und lässt sich regelmäßig berichten. Die Methoden sind dabei noch sehr rudimentär – man muss das Radio laut drehen, falls man abgehört wird, und zum Telefonieren geht man in den Drugstore. Aber das ist eben zeittypisch.

Der Spannungsbogen ist recht ungewöhnlich aufgebaut. Von der eigentlichen Klientin geht es zunächst zu diesem alten Mordfall. Archie trifft Leute, telefoniert heimlich, sichert Spuren, wird an geheime Orte zitiert. Nero Wolfe entwickelt einen Schlachtplan, doch von dem erfährt man als Leser erst ganz zum Schluss. Da habe ich allerdings sehr gelacht! Ein wirklich geniales Manöver, das Wolfe da veranstaltet! Es geht viel um polizeiinterne Machenschaften, und um die damals aufkommende Angst vor der Überwachung durch Geheimdienste. Insofern ist das Buch wieder hochaktuell. Die Methoden mögen sich geändert haben; manche Grundeinstellungen aber leider nicht.

Die Sprache ist auch eher gewöhnungsbedürftig. Eher lange Sätze, Gespräche voller Andeutungen. Wie bereits angedeutet, von einer feinen Ironie durchzogen, die man am besten vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund versteht. Zeitlos ist allerdings Nero Wolfes unkonventionell-frecher Ton den Behörden gegenüber! Das Buch wirkt schon recht „amerikanisch“, doch lässt man sich ein, wird man mit einem immer noch aktuellen Porträt belohnt. Außerdem wird das Buch aus der Sicht von Archie Goodwin erzählt – was wiederum eine ganz eigene, ironische Distanz zur Handlung erschafft.

Mehr möchte und kann ich zu dem Buch gar nicht sagen. Meine Empfehlung lautet: selber lesen! Und sich auf eine kleine Zeitreise gefasst machen.