Atemlos, aber auch ermüdend

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thoronris Avatar

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Die Leseprobe zu diesem Buch hat mich sofort in den Bann gezogen, da ohne lange Vorrede der Plot beginnt. Wir sehen ein Opfer, wir bekommen einen winzigen Blick auf den Täter und erfahren zugleich, dass das Buch aus verschiedenen Perspektiven erzählt wird. Der Stil fesselt von der ersten Seite, doch das hohe Tempo, das bis zum Ende durchgezogen wird, hat mich am Ende ermüdet und unzufrieden zurück gelassen.

Klassische Polizeiarbeit gemischt mit dem Horror einer Entführung

In diesem Buch lernen wir viele Personen kennen. Einerseits natürlich das Entführungsopfer, zu dem wir immer wieder zurückkehren. Wir erleben hautnah mit, wie traumatisch und verzweifelt diese Situation ist. Gleichzeitig erleben wir auch ihr Umfeld und wie Familie und Freunde reagieren, währen die Polizei ermittelt und die Medien mal mehr, mal weniger hilfreich Bericht erstatten. Das alles ist gerade zu Beginn sehr spannend und sorgt für einen Rundumblick, den man selten erhält.

So packend die Szenen des Entführungsopfers auch geschrieben sind, das Highlight für mich war stets, wenn wir den Polizisten bei der Arbeit zuschauen konnten. Das war solide erzählt und gleichzeitig spannend, gerade weil wir immer wieder gesehen haben, wie dünn die Luft für das Opfer wird. Interessant war hier, dass auch die Beziehung von Polizei und Medien beleuchtet wurde, wie schwierig das für den Pressesprecher sein kann und wie unerbittlich der Kampf verschiedener Zeitungen gegeneinander ist. Das hat insbesondere in der ersten Hälfte sehr viel Spaß gemacht.

Der Stil schafft sich selbst ab

Leider blieb der Stil bis zum Schluss gleich. Natürlich ist es auf der einen Seite konsequent, es durchzuziehen, doch für mich litt das Lesevergnügen darunter. Jedes Kapitel hat nur wenige Seite, wir wechseln immer wieder die Szene. Kaum sind wir in der einen angekommen, endet sie schon. Dabei ging für mich einerseits die Charaktertiefe verloren, weil ich nie wirklich bei einer Figur ankommen konnte. Gleichzeitig hatte ich leider auch das Gefühl, dass den Charakteren auf diese Art und Weise die agency genommen wurde – die Möglichkeit, den Plot zu bestimmen und Handlungsmotivation zu zeigen.

Je weiter wir uns dem Ende genähert haben, umso weniger interessiert war in an dem Buch. Die vielen Figuren, die allesamt in jeder Situation das taten, fühlten und dachten, was es gerade für den Plot braucht, ohne dabei einen eigenen Charakter zu haben, flossen ineinander. Die Auflösung war zwar ein interessanter Twist, doch die Aufarbeitung dessen bestand aus zu viel Monologen, die uns erzählt haben, was wir denken und fühlen sollen, ohne dass es uns gezeigt wurde.

Für mich leben Geschichten, insbesondere Thriller, davon, dass ich mit einer Figur wirklich mitfühle, egal welche das ist. Hier gab es zu viele Figuren und gerade das Entführungsopfer, das Dreh- und Angelpunkt des Plots war, blieb bis zum Schluss so charakterlos, dass mir ihr Schicksal zwar nicht egal war, aber ich trotzdem keine emotionale Verbindung spüren konnte. Das ist schade, denn es gab auch immer wieder Szenen, in denen ich wirklich dabei war, die ich spannend fand, die mich zum Nachdenken gebracht haben.

Fazit

Der Thriller „Eskalation“ von Nora Benrath beginnt atemlos und zieht das Tempo bis zum Schluss durch. Während dies gerade am Anfang für Spannung und Abwechslung sorgt, wird es in der zweite Hälfte leider ermüdend. Die ständig wechselnden Szenen und die vielen verschiedenen Charaktere haben es mir unmöglich gemacht, mit mir irgendeiner Figur zu identifizieren und wirklich mitzufiebern. So bleibt ein offensichtlich gut recherchierter und durchdachter Roman am Ende blass.