Überraschender Antiliebesroman

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heike lohr Avatar

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Sparsam sollten die Schotten sein. Das gilt irgendwie nicht, was diesen unglaublichen Anti-Liebesroman betrifft. Er hat sehr viele Seiten, die mich eine ganze Nacht gefangen nahmen. An guten Einfällen wurde nicht gespart.
Mhairi McFarlane habe ich noch nie bewusst wahrgenommen oder gelesen, was sich nach der Lektüre von "Fang jetzt bloß nicht an zu lieben " als gewaltiger Fehler herausstellt. So viel Humor und Präzision in einer Geschichte von zerstörerischen Beziehungen, die mich zum Weinen bringt.
Harriet und Jon sollten doch eigentlich heiraten, wenn er vor seiner versammelten Familie seiner Freundin einen Heiratsantrag macht, den sie aus unterschiedlichen Gründen nicht ablehnen kann, nicht in dieser Situation.
Gleichzeitig ist sie als Hochzeitsfotografin noch von dem Schock geprägt, dass eine Braut von ihrem Bräutigam vor dem Altar stehen gelassen wird. Dessen Trauzeuge und bester Freund muss dann die Braut informieren, was nicht ohne Blessuren seinerseits abgeht.
Lorna mit ihrer Einzigartigkeit und ihrem besonderen Modegeschmack erweist sich in allen Irrungen und Wirrungen als beste Freundin von Harriet. Roxy, deren andere Freundin, wird sehr bald als egoistische Narzistin enttarnt.
Nach und nach enthüllt sich authentisch sowie mit vielen Zwischentönen voller Melancholie durchzogen mit Lebenswillen und Stärke Harriets Lebens- und Liebesgeschichte.
Die toxischen Männer sind realistisch und in all ihren Facetten wunderbar authentisch und psychologisch genau beschrieben und erfasst. Sie haben nicht nur meinen Widerwillen als Frau erregt, sondern sie haben in ihrer öffentlichen blendenden Fassade in mir auch Sympathie erweckt.
Mit welchen unterschiedlichen Handlungssträngen wir als Leserinnen mitbangen und -fiebern ist nicht so leicht zu sagen, ohne gleich den Inhalt des Buches detailgetreu wiederzugeben:
Es geht um Harriets Beziehung zu ihren zwei Freundinnen, zu ihrer Beziehung zu Jon, der sehr bald ihr Ex ist, ihre Beziehung zu ihrem sie traumatisierenden ersten Partner, ihr Verhältnis zu ihrem Vermieter (den sie aufgrund ihres Vorwissens vollkommen falsch einschätzt) sowie ihr Verhältnis zu seinem besten Freund. Es dreht sich um ihre Loyalität sowie Solidarität zu den Ex-Partnerinnen ihres ersten Freundes und last but not least zu ihrer Solidarisierungsaktion mit dessen jetziger Lebensgefährtin.
Wo andere Frauen dem gesellschaftlichen Druck und allgemeinen Schweigen nachgeben, beginnt sie sich aufzuraffen und moralische Verantwortung zu übernehmen. Die Folgen sind dramatisch bis tragisch, doch es kommt nicht zu der erwarteten Niederlage. Es kommt ganz anders, als wir es im Alltag gewohnt sind.
Jede Figur ist so real beschrieben, dass ich sie jederzeit auf der Straße treffen könnte. Mein Kompliment an die Übersetzerin, die mir eine wunderbare und flüssige Übersetzung anbietet, die mich so vollkommen in den Bann des Buches und in die typisch britische Atmosphäre hineinzieht.
Das Cover mit den unterschiedlichen Rosa-Tönen, die bis leicht ins Lila übergehen, mit diesen Formen, die an Halbkreise erinnern, stimmen auf die Dynamik und die unterschiedlichen Orbits der Menschen, die umeinander kreisen, ein. Die unterschiedlichen Farbtöne sind diskret, nicht schreiend, sondern irgendwie anregend auf eine dezente Art und Weise.
In einem dieser Halbkreise ist der Oberkörper eines Mannes mit einem Vollbart und Mund, doch Auge und Nase sind nicht vorhanden, abgebildet. Die linke Seite des Covers wird vom Rand her bis zur ungefähren Mitte von halben Gesicht einer Frau mit schönem schulterlangem Haar eingenommen, die etwas in Hellgrün trägt. Man sieht nur den linken Arm und einen Teil des Oberkörpers. Ihr blutrot geschminkter Mund und die feingezeichneten Augenbrauen machen sie zu einer sinnlich schönen und charakterstarken Frau. Sie stellt eindeutig Harriet dar, der Mann ist wahrscheinlich Cal, ihr Vermieter.
Die Personen und der Buchtitel sowie der Name der Autorin sind erhaben auf das Cover gedruckt, so dass man sie haptisch erfassen kann. Schon das Covers spricht genial alle meine Sinne an und nimmt mich für dieses Buch ein. Auf der Rückseite ist der Titel der Buchbeschreibung auch erhaben aufgedruckt. Die Titel sind in weißen Buchstaben appliziert. Das Gesamtkunstwerk beeindruckt durch die materiellen Erscheinungsform, der Papierqualität und durch die geniale Erzählung, welche die Übersetzerin Maria Hochsieder gekonnt ins Deutsche übertragen hat. Ich bin begeistert von diesesr wunderbaren Lektüre.