Viel gewollt...

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Cath ist ein stilles, zurückgezogenes Mädchen und ohne ihre Zwillingsschwester Wren ist sie kein Ganzes. Ausgerechnet mit Beginn des neuen Lebensabschnittes am College beschließt Wren, sich von Cath abzunabeln. Während sich Wren Jungs und Partys zuwendet, besteht Caths Universum weiterhin aus ihrer Leidenschaft für Fanfiction zu „Simon Snow“. In dem kleinen Wohnheimzimmer, das sie sich mit der selbstsicheren Reagan teilt, lässt sie ihrer Fantasie freien Lauf und flüchtet sich in die Welt, in der sie sich auskennt. Doch durch ihren „Kreatives Schreiben“-Kurs kommt sie nicht nur mit anderen Möglichkeiten des Schreibens in Kontakt, sondern auch mit Nick, einem Jungen, der ihre Leidenschaft für Worte teilt. Auch Reagans bester Freund Levi, der ständig in dem kleinen Zimmer rumzuhängen scheint, erlangt bald Caths Aufmerksamkeit, vor allem als sie das Geheimnis dieses immer lächelnden Jungen entdeckt.

Mich hat „Fangirl“ anfangs trotz des sehr gutes Schreibstils ziemlich gelangweilt. Mit der Ich-Erzählerin Cath wurde ich nicht richtig warm, sie schien mir wenig greifbar, die meiste Zeit passierte auch nichts und es drehte sich viel um Fanfiction, was ich zwar vom Thema her spannend, aber nicht handfest genug fand. Man wurde nicht so richtig eingeführt, ich hätte mir noch mehr Infos gewünscht. Die Ich-Perspektive wird immer wieder durchbrochen von kleinen Textausschnitten aus „Simon Snow“ – dem Original sowie Caths Fanfiction, aus verschiedenen Bänden und Zeitabschnitten. Leider hat sich mir die Originalgeschichte aus den Abschnitten überhaupt nicht erschlossen und da die Fanfiction ja mit den gleichen Charakteren eine andere Geschichte erzählt, erst recht nicht. Ich habe anfangs auch nicht kapiert, wer Penelope, Agatha usw. – also die ganzen Nebenfiguren der Story – sind. Das Ganze kam mir vor wie ein Harry-Potter-Verschnitt, bei dem Harry und Draco Malfoy sich ineinander verlieben, wobei Draco sich als Vampir entpuppt. Ich habe dann versucht, die Simon-Snow-Abschnitte in Bezug zum Erzähltext zu setzen, nach dem Motto, die beeinflussen sich vielleicht. Aber das hat auch nicht funktioniert, so dass ich die Auszüge bald überflüssig und störend empfand. Genauso wie die Teile, die Cath vorliest.

Doch die Geschichte um Cath nimmt später doch noch Fahrt auf und wird mit Blick auf den manischen Vater auch in hohem Maße vielschichtiger. Cath ist ein interessanter Charakter. Offensichtlich leidet sie an einer Sozialen Angststörung. Sie hasst Menschemengen und fühlt sich mit mehreren Personen in einem Raum unwohl. Gleichzeitig überlegt sie, was ihr alles Peinliches passieren könnte und geht der Situation von vornherein aus dem Weg. Ihre Zwillingsschwester Wren scheint dabei das ganze Gegenteil zu sein. Sie liebt Partys und genießt das neue Collegeleben in vollen Zügen und macht viele neue Bekanntschaften. Doch auch Cath lernt Leute kennen. Ihre Mitbewohnerin Reagan merkt, dass Cath ein schwieriger Charakter ist, und geht sehr sensibel damit um, ohne sich aufzudrängen. Ihr bester Freund Levi versteht es, Cath immer wieder ein Lächeln zu entlocken. Viel Zeit verbringt Cath vor allem mit ihrem Schreibparter Nick. Die Charaktere sind authentisch, auch wenn man von einigen nicht besonders viel erfährt. Vor allem Cath macht eine spannende Entwicklung durch und am Ende musste ich gar ein Tränchen verdrücken.

Mir hat auch der leichte, aber nicht seichte Schreibstil von Rainbow Rowell gut gefallen. Besonders gelungen fand ich die humorvollen Dialoge, bei denen ich manchmal laut auflachen musste. Hier merkt man Cath ihre reflektierten Gedanken und ihr Selbstbewusstsein an, was man aufgrund der Sozialen Angststörung erst mal gar nicht vermutet. Insgesamt hat Rowell wohl ein bisschen zu viel gewollt: Die Angststörung, der manische Vater, die Mutter, die ihre Familie verlassen hat, Wrens Umgang mit Alkohol und dann der wuchtige Anteil an Fanfiction. Tolle Themen in geballter Ladung, die den Hype aber meiner Meinung nach nicht rechtfertigen.


© Tintenhain